Kapitel 2
»Schaut euch die drei an.« Der alte Marten Haase war schon 92 Jahre alt, hatte aber noch eine kräftige Stimme, mit der er frotzelte: »Die Inselgrafen sind in ihrem Element.«
Joris Graf, der hinter dem Tresen die Kasse aufschloss und einen Block und einen Kugelschreiber suchte, warf ihm einen Blick zu, der irgendwo zwischen amüsiert und warnend lag.
Normalerweise traf sich der Rat desFering Ferian und alle Mitglieder, die Zeit und Lust hatten, abends, um zu besprechen und zu planen, wie der Heimatverein mit seinen bescheidenen Mitteln den Erhalt des friesischen Dialektes und die Kulturarbeit, darunter die Pflege der traditionellen Föhrer Tracht, fördern konnte. Aber sie hatten keinen gemeinsamen Termin gefunden, daher machten sie heute eine Ausnahme und setzten sich mittags zusammen.
Joris hatte denHeimathafen eben erst aufgeschlossen und die ersten Teilnehmer hereingelassen. Nun schob Tjorben die Stühle und Tische zusammen, Arian machte Feuer im offenen Kamin, denn der Januar zeigte ihnen in diesen Tagen sein stürmisches und frostiges Gesicht. Joris war dankbar für die Unterstützung seiner jüngeren Brüder. Es war ein schönes Gefühl, mit ihnen zusammen an einem Strang zu ziehen. Er nahm die ersten Getränkebestellungen auf.
Normalerweise machte die urige Kneipe, die am Hafendeich in der Nähe des Robbenzentrums lag, erst abends auf. Aber der Geschäftsführer hatte Joris den Schlüssel gegeben, damit der Heimatverein, der schon einhundert Jahre lang bestand, sie als Versammlungsort nutzen konnte. Dank der zentralen Lage konnten auch ihr Vater Johan, der als Hafenmeister arbeitete, und ihre Mutter Ilse, die mit Arian mitten in Wyk eine Galerie mit Atelier führte, dabei sein. Das bedeutete aber auch, dass sie alles selbst vorbereiten, Getränke ausgeben und aufräumen mussten. Gerne übernahmen Joris und seine jüngeren Brüder das.
So verwurzelt wie ihre Familie auf Föhr war, fanden die drei Brüder es selbstverständlich, sich auf der Nordseeinsel einzubringen. Wegen ihres Engagements hatte irgendwer angefangen, sie scherzhaft »die Inselgrafen« zu nennen, andere hatten die Bezeichnung aufgegriffen, und so hatte sie sich etabliert. Bis heute wusste Joris nicht genau, ob der Ausdruck anerkennend gemeint war oder damit angedeutet wurde, dass seine Brüder und er sich zu sehr aufspielten und einmischten. Das hing wohl davon ab, wer den Begriff verwendete.
Nach einer Weile fand Joris endlich die Zeit, sich auch mal hinzusetzen. Er holte sich einHünjmots-Pils vonBriar-Brauhüs, nahm einen Schluck. Seine Lippen waren noch kalt von der steifen Brise draußen, die Wärme des Kaminfeuers hatte sich noch nicht im Raum ausgebreitet. Entspannt sah er sich um.
DerHeimathafen hatte mit seinen Werkbänken und der industriellen Maschine etwas von einer Werkstatt. Eine einfache Einrichtung, urig und auf coole Weise verlebt. Manche der Sitzmöbel wirkten wie Flohmarktschätze, andere wie zusammengeschustert, was sie vermutlich auch waren. Joris glaubte