2.
Alexa Jahn bahnte sich ihren Weg zwischen den Beamten hindurch, die die gesamte Wohnung der österreichischen Kollegin akribisch nach Fasern und anderen Spuren absuchten. Dicht dahinter folgte ihr Kollege Florian Huber. Obwohl sie auf dieser Seite der Grenze keine Befugnisse hatten, war es keine Frage gewesen, dass sie herkommen würden, nachdem sie imLKA Innsbruck erfahren hatten, dass die Kriminalinspektorin, die mit Krammer zusammenarbeitete, verschwunden war. Sie kannten Roza Szabo zwar nicht persönlich, aber Alexa hoffte, dass sie der Fall von ihren Gefühlen ablenken würde, denn das Wiedersehen mit ihrem ehemaligen Partner aus Aschaffenburg in der Woche zuvor hatte sie emotional ziemlich durchgeschüttelt.
Das Team vor Ort agierte hochkonzentriert, und obwohl viele Menschen auf engstem Raum beisammen waren, sagte niemand ein Wort. Wenn es um jemanden aus den eigenen Reihen ging, wurde noch gründlicher gearbeitet. Alexa und Huber hatten sich Schutzanzüge geben lassen. Niemand stellte Fragen, warum zwei deutsche Beamte da waren. Elly Schmiedinger, Krammers Sekretärin, hatte das Team vermutlich zuvor über ihr Kommen informiert.
Neugierig sah Alexa sich um.
Endlich trafen sie im Wohnzimmer am Ende des Flurs auf Bernhard Krammer, der mit leerem Blick mitten im Raum stand. Draußen war gerade eine Leiche abtransportiert worden, und Alexa befürchtete das Allerschlimmste.
»Elly hat uns gesagt, wo wir dich finden können«, begann sie und verkniff sich die Frage, wie es ihm ging. Weder wusste sie nähere Details, noch kannte sie ihren Vater, Bernhard Krammer, besonders gut, da sie von seiner Existenz erst wenige Wochen zuvor erfahren hatte. Aber sein Befinden war auch so deutlich zu erkennen: Seine Wangen waren eingefallen, die grauen Haare, die er stets mit einem akkuraten Seitenscheitel trug, waren zerzaust, und seine Arme hingen herab, als hätte er jegliche Kraft verloren. Er hatte bislang immer energisch und vital auf sie gewirkt, aber heute sah man ihm seine sechzig Jahre deutlich an.
»Alexa, Florian«, sagte er bloß. Dann wischte er sich über das Gesicht, als könne er damit die Bilder in seinem Kopf verjagen. »Entschuldigt, ich hatte euch völlig vergessen. Aber ich konnte ja nicht wissen …«
Er brach ab und presste die Lippen zusammen.
Ohne zu überlegen ging Alexa auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Oberarm. Es war das erste Mal, dass sie ihn berührte. Obwohl sie körperlich sonst eher Distanz zu Menschen hielt, war es ihr in diesem Moment ein Bedürfnis. Dennoch fühlte es sich seltsam an. Als würde sie eine Grenze überschreiten. Aber diese Geste der Verbundenheit musste sein. Krammer war völlig am Ende.
Er suchte ihren Blick, straffte sofort die Schultern und brachte ein knappes Lächeln zustande.
»Können wir irgendetwas tun?« Sie trat ein Stück zur Seite, um sie beide aus der ungewohnt intensiven Situation zu befreien. Immerhin waren sie an einem Tatort.
»Wenn ihr mir sagen könnt, wer der tote Mann ist, den wir hier gefunden haben, wäre mir schon geholfen.« Krammer schnaubte und schüttelte den Kopf. »Entschuldigt. Das war nicht fair. Ich sollte meinen Frust nicht an euch auslassen. Aber ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, was hier geschehen ist.«
Huber stand ein Stück von ihnen entfernt und betrachtete das Innere eines massiven Holzregals, in dem sich hinter Glastüren alte Bücher, Fotos und Vasen befanden.
Immerhin war es nicht Roza Szabo, die abtransportiert worden war, stellte Alexa erleichtert fest. »Was ist denn passiert? Der Tote hier … Du denkst doch nicht, dass deine Kollegin …« Sie brach ab.
Doch statt eines Wutausbruchs zuckte Krammer dieses Mal bloß die Schultern und sackte in sich zusammen. »Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll, Alexa. Wirklich nicht. Wir haben heute in der Frühe bemerkt, dass Roza abgängig war, obwohl der Rechner lief. Sie hat gestern Abend Hals über Kopf das Büro verlassen. Und zwar buchstäblich: Ihr Mantel, ihre Tasche, Ausweispapiere, sogar ihr Handy – alles ist noch dort. Ein Video von der Pforte zeigt, dass sie schon gestern Nachmittag aus dem Gebäude gerannt ist, nicht lange bevor wir selbst dort eingetroffen sind. Der Mann, der Wachdienst hatte, dachte sich nichts dabei, weil ich selbst auch kurz zuvor so eilig weg bin …«
Er verstummte und musterte Alexa. Aber er musste es nicht aussprechen. Sie wusste genau, was er meinte: Krammer war ihr wieder einmal zu Hilfe gekommen. Das war der Grund gewesen, weshalb er Rozas Abwesenheit nicht bemerkt hatte. Sie atmete tief durch und verschränkte die Arme vor dem Körper.
Doch schon fuhr Krammer mit seiner