: Joël Dicker
: Die Affäre Alaska Sanders Roman
: Piper Verlag
: 9783492604161
: 1
: CHF 17.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 576
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Endlich - die Fortsetzung von Joël Dickers Weltbestseller »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert« April 1999. Im friedlichen Mount Pleasant an der amerikanischen Ostküste wird die Leiche der jungen Alaska Sanders geborgen. Die Geständnisse eines Verdächtigen und seines Komplizen genügen, um die Ermittlungen zu einem raschen Erfolg zu führen. Juni 2010. Sergeant Perry Gahalowood, der seinerzeit von der Schuld des Verdächtigen restlos überzeugt war, erhält anonym eine verstörende Nachricht. Was, wenn er damals die falsche Fährte verfolgt hat? Gemeinsam mit seinem Freund, dem Schriftsteller Marcus Goldman, dessen Erfolg »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert« vor der Verfilmung steht, rollt er den Fall neu auf - und fördert Details aus Alaskas Vergangenheit zutage, die die damaligen Ereignisse in ein völlig anderes Licht rücken ... »Eine großartige Fortsetzung, überbordend, sehr böse und virtuos. Lassen Sie sich drauf ein!« Le Parisien weekend

Joël Dicker wurde 1985 in Genf geboren. Seine Bücher »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert« und »Die Geschichte der Baltimores« wurden weltweite Bestseller und über sechs Millionen Mal verkauft. Für »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert«, das in Frankreich zur literarischen Sensation des Jahres 2012 wurde und dessen Übersetzungsrechte mittlerweile schon in über 30 Sprachen verkauft wurden, erhielt Dicker den Grand Prix du Roman der Académie Française sowie den Prix Goncourt des Lycéens. Mit »Das Verschwinden der Stephanie Mailer« und »Das Geheimnis von Zimmer 622« konnte er an seine Erfolge anknüpfen und schaffte es ebenfalls auf die Bestsellerlisten.

Auf die riesigen Hallen am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms, in denen die Filmstudios untergebracht waren, fiel ein frühlingshafter Schnee. Seit einigen Monaten wurde dort mein erster Roman, G wie Goldstein, verfilmt.

KAPITEL 1


Nach dem Fall Harry Quebert

Montreal, Quebec
5. April 2010

Der Zufall wollte es, dass der Beginn der Dreharbeiten mit dem Erscheinen vonDie Wahrheit über den Fall Harry Quebert zusammenfiel. Nach dem erfolgreichen Buch wurde der Film bereits überall begeistert gefeiert, und die ersten Bilder hatten in Hollywood Aufsehen erregt.

Während draußen ein kalter Wind die Schneeflocken umherwirbelte, hatte man im Studio fast das Gefühl, es wäre Hochsommer: In der erstaunlich realistisch wirkenden Kulisse einer belebten Straße schienen die Schauspieler und Statisten, die von starken Scheinwerfern angestrahlt wurden, unter einer sengenden Sonne zu brüten. Es war eine meiner Lieblingsszenen im Buch: Auf der Terrasse eines Cafés, an dem zahlreiche Passanten vorbeigehen, treffen sich die beiden Protagonisten Mark und Alicia endlich wieder, nachdem sie sich jahrelang aus den Augen verloren hatten. Worte sind überflüssig, ihre Blicke genügen, um die verlorene Zeit wettzumachen, die sie ohneeinander verbracht haben.

Ich saß hinter den Kontrollbildschirmen und verfolgte die Aufnahme.

»Schnitt!«, schrie plötzlich der Regisseur und zerstörte damit den Zauber des Augenblicks. »Die nehmen wir.« Der erste Assistent, der neben ihm saß, gab die Anweisung über Funk weiter: »Die nehmen wir. Ende der Dreharbeiten für heute.«

Sofort verwandelte sich das Set in einen Ameisenhaufen. Die Techniker packten ihre Ausrüstung zusammen, während die Schauspieler unter den enttäuschten Blicken der Statisten, die sich über ein paar Worte, ein Foto oder ein Autogramm gefreut hätten, in ihre Garderoben zurückkehrten.

Ich schlenderte durch die Kulissen. Die Straße, die Bürgersteige, die Laternen, die Schaufenster – alles wirkte so echt. Ich betrat das Café, voller Bewunderung für die Liebe, die man hier auf jedes Detail verwandt hatte. Ich hatte das Gefühl, in meinem Roman herumzuspazieren. Ich schlich mich hinter die Theke, die mit Sandwiches und Gebäck vollgepackt war: Alles, was man auf der Leinwand sehen konnte, musste realistisch wirken.

Dieser kontemplative Moment war nur von kurzer Dauer, denn eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken:

»Bedienen Sie heute, Goldman?« Es war Roy Barnaski, der exzentrische Verleger von Schmid & Hanson, der meine Bücher publizierte. Er war am Morgen aus New York angereist, ohne jede Vorwarnung.

»Einen Kaffee, Roy?«, schlug ich vor und griff nach einer leeren Tasse.

»Geben Sie mir lieber eines dieser Sandwiches, ich sterbe vor Hunger.«

Ich wusste nicht, ob sie essbar waren, reichte Roy aber trotzdem kurzerhand eine Truthahn-Käse-Kombi.

»Wissen Sie, Goldman«, sagte er, nachdem er genüsslich in die dicken Scheiben gebissen hatte, »dieser Film wird ein Hit! Wir haben übrigens eine Sonderausgabe vonG wie Goldstein geplant, das wird ein Hit!«

Falls Sie zu denen gehören, dieDie Wahrheit über den Fall Harry Quebert gelesen haben, ist Ihnen mein ambivalentes Verhältnis zu Roy Barnaski wohlbekannt. Die anderen brauchen nur zu wissen, dass er sich seinen Autoren umso wesensverwandter fühlt, je größer die Geldsummen sind, die er mit ihnen verdient. Mir hatte er zwei Jahre zuvor noch die Hölle heißgemacht, weil ich meinen Roman nicht rechtzeitig abgeliefert hatte, doch die Rekordverkäufe vonDie Wahrheit über den Fall Harry Quebert verschafften mir nun in seinem Pantheon der Goldesel einen Ehrenplatz.

»Sie müssen auf Wolke sieben schweben, Goldman«, fuhr Barnaski fort, der offensichtlich nicht merkte, dass er mir lästig war. »Erst der Bucherfolg und jetzt dieser Film. Erinnern Sie sich noch, wie ich vor zwei Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, damit Cassandra Pollock die Rolle der Alicia bekommt, und Sie mich mit Vorwürfen überhäuften? Schauen Sie, wie sehr sich das gelohnt hat! Alle sind sich einig, dass sie sensationell ist!«

»Wie könnte ich das vergessen, Roy? Sie haben allen weisgemacht, wir hätten eine Affäre.«

»Sie sehen ja, was dabei herausgekommen ist! Ich habe eben einen guten Riecher, Goldman! Deshalb habe ich es so weit gebracht! Übrigens bin ich hier, um etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.«

Schon in dem Augenblick, da ich ihn so unverhofft am Drehort auftauchen sah, war mir klar gewesen, dass er nicht ohne Grund nach Montreal gekommen war.

»Worum geht es?«, fragte ich.

»Eine Neuigkeit, die Sie freuen wird, Goldman. Ich wollte sie Ihnen persönlich überbringen.«

Barnaski fasste mich mit Samthandschuhen an, das war kein gutes Zeichen.

»Spucken Sie es schon aus, Roy.«

Er gab sich einen Ruck: »Wir stehen kurz davor, einen Vertrag mitMGM über die Verfilmung vonDie Wahrheit über den Fall Harry Quebert abzuschließen! Das wird ein Riesending! So riesig, dass sie ganz schnell eine Absichtserklärung unterzeichnen möchten.«

»Ich glaube nicht, dass ich es verfilmen lassen möchte«, antwortete ich schroff.

»Warten Sie, bis Sie den Vertrag gesehen haben, Goldman. Schon bei Unterzeichnung sind Sie um zwei Millionen Dollar reicher! Sie kritzeln Ihren Namen unten auf eine Seite und schwupps! – haben Sie zwei Millionen Dollar mehr auf Ihrem Bankkonto. Ganz zu schweigen von der Gewinnbeteiligung am Film und allem anderen!«

Ich hatte keine Lust zu diskutieren. »Besprechen Sie das mit meinem Agenten oder meinem Anwalt«, schlug ich vor, um die Sache abzukürzen, was Barnaski sehr ärgerte.

»Wenn mich die Meinung Ihres beschissenen Agenten interessieren würde, Goldman, wäre ich nicht hergekommen!«

»Konnte das nicht bis zu meiner Rückkehr nach New York warten?«

»Ihre Rückkehr nach New York? Sie sind schlimmer als der Wind, Goldman, Sie können nie an einem Ort bleiben!«

»Harry würde einem Film nicht zustimmen«, sagte ich und verzog das Gesicht.

»Harry?«, presste Barnaski hervor. »Harry Quebert?«

»Ja, Harry Quebert. Ende der Diskussion: Ich will keinen Film, weil ich mich nicht mehr damit befassen will. Ich will den Fall vergessen. Ich möchte ein neues Kapitel aufschlagen.«

»Hören Sie sich nur dieses Quengelbaby an!«, sagte Barnaski, der es nicht ertrug, wenn man ihm widersprach. »Man reicht ihm eine Schöpfkelle voll Kaviar, aber Baby Goldman ist trotzig und will den Mund nicht aufmachen!«

Ich hatte die Nase voll. Barnaski bereute sofort, dass er mich so überfahren hatte, und wollte es wiedergutmachen, indem er mit honigsüßer Stimme sagte: »Lassen Sie mich Ihnen das Projekt erklären, mein lieber Marcus. Sie werden sehen, wie schnell Sie Ihre Meinung ändern.«

»Ich brauche erst mal frische Luft.«

»Lassen Sie uns heute Abend zusammen essen gehen! Ich habe in einem Restaurant in der Altstadt von Montreal einen Tisch reserviert. Sagen wir, zwanzig Uhr?«

»Ich habe heute Abend eine Verabredung, Roy. Wir sprechen uns in New York.«

Ich ließ ihn mit seiner Sandwich-Attrappe in der Hand am Set stehen und ging zum Haupteingang des Studios. Kurz vor den großen Flügeltüren befand sich ein Imbissstand. Jeden Tag nach den Dreharbeiten trank ich dort noch einen Kaffee. Es bediente immer die gleiche Kellnerin. Sie reichte mir, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, einen Pappbecher mit Kaffee. Ich dankte ihr mit einem Lächeln. Sie lächelte zurück. Ich werde oft angelächelt. Aber ich weiß nicht mehr, ob die Leute mich anlächeln, den Menschen, der vor ihnen steht, oder aber den Schriftsteller, den sie gelesen haben. Wie zum Beweis zog die junge Frau ein Exemplar vonDie Wahrheit über den Fall Harry Quebert hinter ihrem Tresen hervor.

»Gestern Abend habe ich es zu Ende gelesen«, sagte sie. »Dieses Buch kann man einfach nicht mehr aus der Hand legen! Würden Sie es...