Kapitel 1
Auf dem Rückflug nach Hause bestand Velia immer auf den Fensterplatz. Und wenn sie ihn nicht schon vorab buchen konnte, dann bat sie ganz ungeniert im Flugzeug ihre Sitznachbarn um einen Platztausch. Da konnte sie sehr erfinderisch werden. Denn sie musste einfach am Fenster sitzen. Aus unzähligen Gründen, die zusammengefasst einen ergaben: Der jedes Mal aufs Neue gewagte Anflug auf Neapel! Spektakulär, einzigartig und vielleicht sogar ein bisschen gefährlich.
Sie konnte sich nicht dran stattsehen. Wenn der Flieger sich mit einer aufregend tiefen Kurve über die Stadt senkte, geriet sie immer und immer wieder ins Schwärmen. Dann entdeckte sie den Golf mit dem Vesuv im Hintergrund, die tausend Farben, Schattierungen von Blau, Blauer, Türkis. Hell, wie Marechiaro, der famose Stadtteil. Oder schwarz. Wie mare nero, nach Lucio Battistis unvergessenem Lied. Je nach Wetter und Stimmung. Das Meer war launisch. Wie eine Diva. Oder sanft wie ein Flüstern. Das kam ganz drauf an. Auf den Mond, die Sonne, den Wind, den Vesuv. Ja, auch auf ihn.
Keine andere Stadt hieß ihre Gäste vielfältiger willkommen. Mit dem unendlich großen Hafen, den modernen Hochhäusern, den antiken palazzi. Pulsierendes Leben, wohin das Auge reichte. Bunt, einheitlich, gemischt, entschlossen.
Das alles hatte sie vermisst. Obwohl sie gar nicht lange weg gewesen war.
Sie seufzte. Wohlig und wissend zugleich.
»Schön, nicht?«, sagte ihre Sitznachbarin, die ebenso gebannt schief über Velias Schulter aus dem Fenster blickte.
»Ja …«
»Ich fahre zweimal jährlich hierher. Ischia. Die Thermen sind mein Lebenselixier. Haben Sie auch Urlaub?«
Velia schüttelte den Kopf. »Nein. Ich lebe hier.«
»Oh, Sie Glückliche!«
Velia mochte ihre Sitznachbarin plötzlich sehr. All diejenigen, die in und an Neapel mitsamt den Inseln ebenso viel Schönheit entdecken konnten wie sie, hatten von vornherein gleich tausend Punkte gewonnen. Sie verzieh der nicht mehr ganz jungen Dame neben sich augenblicklich das Schnarchen von zuvor und das aufdringliche Parfum. Sogar die fast meterhoch toupierten Haare. Sie war jetzt eine