Kapitel 1
»Curtis!«
Maya hörte die Frustration in ihrer Stimme, als sie ihren Teenager-Sohn vom oberen Stockwerk lautstark nach unten zitierte. Dann kehrte sie in die Küche zurück, um sich einen zweiten Eindruck zu verschaffen. Vielleicht war es doch nicht so schlimm, wie sie zuerst gedacht hatte.
Es war schlimmer.
Den klebrigen Fleck auf dem Linoleumboden hatte sie beim ersten Mal nicht gesehen. Aber die benutzten Gläser neben der Spüle und die leere Flasche mit süßem Tee, die auf der Kücheninsel stand, zeigten sich mit großer Wahrscheinlichkeit für den Fleck verantwortlich. Die Arbeitsplatte war mit Krümeln übersät. Das Brot – oder das, was davon übrig war – war liegen gelassen worden, damit es eintrocknen konnte. Zwischen den Krümeln lagen Messer, die mit Senf und Mayonnaise beschmiert waren, und auf dem überquellenden Mülleimer thronte eine leere Tüte Chips.
Über das schnelle Pochen ihres Herzens hinweg vernahm Maya mehrere jugendliche Stimmen aus dem ersten Stock, was sowohl die vielen leeren Gläser als auch das fast aufgegessene Brot erklärte. Curtis hatte Freunde zu Besuch – trotz ihrer Regel, dass keine Freunde erlaubt waren, solange sie bei der Arbeit war. Und ganz sicher nicht ohne ihre vorherige Erlaubnis.
Sie drückte die Handfläche gegen die Stirn und holte tief Luft. Dann noch einmal.
Wenn Ian bloß noch hier wäre.
Mehr als ein Jahrzehnt lang hatte sie diese Litanei wie eine kaputte Schallplatte in ihrem Kopf abgespielt. Sie war davon ausgegangen, dass der Satz irgendwann nicht mehr zutreffen würde. Doch anstatt Frieden mit Ians Tod zu machen, ärgerte sie sich umso mehr über die Abwesenheit ihres Mannes, je älter Curtis wurde. Mit seinen vierzehn Jahren war ihr Sohn bereits herausfordernder, als sie verkraften konnte. Ian mit im Boot zu haben, hätte einen riesigen Unterschied gemacht.
Curtis’ Alter stellte dabei nur die Hälfte des Problems dar. Jetzt, da Sommerferien waren, hatte er viel zu viel Zeit und keine Struktur in seinem Tagesablauf. Er war zu jung, um arbeiten zu gehen, und zu alt, um an – bezahlbaren – Sommercamps teilzunehmen. Er hing entweder zu Hause oder mit den Kindern aus der Nachbarschaft herum, anstatt mit den »netten« Kids, mit denen er die Privatschule besuchte – ein Luxus, den sie mit Mühe und Not zusammenkratzte. Und nun war gerade mal Anfang Juni, und schon brach Curtis die Regeln.
Sie wappnete sich für die Schlacht, knallte die Tüte mit den Lebensmitteln, die sie noch in einem Arm hielt, auf den Tresen und stapfte die Treppe hinauf.
Kein Wunder, dass er sie nicht hatte rufen hören. Die Geräusche eines brachialen Videospiels drangen durch Curtis’ geschlossene Tür. Mit angehaltenem Atem drehte sie den Knauf und stieß leise die Tür auf.
Wenn sie gedachte hatte, die Küche sei schon verwüs