: Maya Shepherd
: Das Labyrinth der Königin
: tolino media
: 9783752139945
: 1
: CHF 2.50
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 135
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Krieg der Farben führt in ein Labyrinth, das von einer dunklen Macht erschaffen wird. Eine Macht, die ihre Augen überall in der Welt hat und sich am Leid anderer ergötzt. Dieser magische Ort unterliegt den Bedingungen einer bösen Königin und ist zu schrecklich, um in der Realität existieren zu können. Aber im Reich der Träume sind der Grausamkeit keine Grenzen gesetzt. Ein letzter Kampf steht den Sieben bevor. Wird die Welt danach eine andere sein?

Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, Kindern und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren. 2019 gewann Maya Shepherd mit den Grimm-Chroniken den Skoutz-Award in der Kategorie"Fantasy".

Schuld und Unschuld


Mittwoch, 31. Oktober 2012

6.45 Uhr

Bad Honnef, Rheininsel Nonnenwerth, Kloster

Nicht nur in dieser Welt, sondern auch in Engelland fielen unzählige Schneeflocken vom Himmel. Hin und wieder hatte Rosalie den Kopf von den ›Grimm-Chroniken‹ gehoben und aus dem Fenster in die dunkle Welt geblickt, die seit zweihundert Jahren unter einer Dornenhecke schlief. Die Glasscheibe hatte das flackernde Licht der Kerzen gespiegelt, die das Turmzimmer erhellten.

Joes Blick war dem ihren begegnet, aber er hatte sie nicht gedrängt, über das zu sprechen, was sie aus dem Buch erfahren hatte. Einen Teil davon kannte er schließlich schon. Er verstand, dass sie Zeit brauchte, um das, was sie erfuhr, zu verarbeiten. Es war viel und es stellte ihre Gefühle auf den Kopf. Sie empfand Wut und Enttäuschung, aber auch Trauer.

Vieles war nicht so, wie sie geglaubt hatte oder Vlad Dracul sie hatte glauben lassen. Die Wahrheit blieb dieselbe, aber sie aus einer anderen Perspektive zu lesen, ließ auch Rosalie ihre Überzeugungen infrage stellen. Plötzlich empfand sie nicht nur Verständnis, sondern sogar Mitleid für ihre Eltern. Aber am meisten bewegte sie Margerys Schicksal. Jeder ihrer Sätze war mit einem Gift getränkt, dessen Geschmack sie nur zu gut kannte – Einsamkeit.

Sie hatte immer gedacht, dass es ihrer Schwester besser als ihr ergangen wäre. Rauschende Feste, lautes Lachen und liebevolle Umarmungen hatte sie sich vorgestellt, aber das entsprach nicht der Wirklichkeit. Der Vampirismus in Margerys Genen hatte sie von klein auf zu einer Aussätzigen gemacht. Ihre Kindheit war nie unbesorgt gewesen. Stets hatte es die Bedrohung von dem Krieg an der Dornenhecke gegeben. Dorian, der kaum zu Hause gewesen war. Mary, die versucht hatte, tapfer zu sein und den Schmerz, den ihr Körper ihr bereitete, nicht zu zeigen.

Es hatte Margery entsetzlich gequält, zu wissen, dass sie der Grund war, weshalb ihre Mutter leiden musste.

Alles wurde schlimmer in der Nacht, als Rosalie Mary in den Spiegel stieß. Margery hätte jeden Grund gehabt, sie für ihre Tat zu hassen, aber als sie ihr gestanden hatte, was sie getan hatte, sagte sie nur:Du wusstest nicht, was du tust. Vlad hat dich immer belogen und du warst noch ein Kind.

Das war ein Beweis für ihr tiefes Verständnis, ihr großes Herz und ihre unermessliche Güte. Aber an diesem Tag verlor Margery auch das erste Stück ihres Herzens.

Durch die ›Grimm-Chroniken‹ konnte Rosalie ihre Schwester nun so sehen, wie einst