8. Ein harter Kopf
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Wieder wurde an die Tür des Sprachgelehrten geklopft, und der kleine Sohn desselbenöffnete, diesmal aber einem gut gekleideten Herrn.
»Ist Herr Reihenfels zu sprechen, mein Junge?«
»Ich bin kein Junge und deiner nun gleich gar nicht,« klang es trotzig von den roten Lippen zurück.
»Entschuldige, wenn ich dich in deiner Ehre gekränkt habe!« lächelte der Herr.»Also, kleiner Mann, ist Herr Reihenfels zu Hause?«
»Ja, aber er muß jetzt arbeiten.«
»Hat er lange zu tun?«
»Mit dem Kartoffelschälen ist er gleich fertig, dann muß er aber die Suppe ansetzen.«
»Gib ihm diese Karte und sage ihm, ich möchte ihn sprechen.«
Der Knabe nahm die dargereichte Visitenkarte nicht.
»Ich lasse mir von niemandem befehlen, nur von meinen Eltern, von einem Fremden gar nicht.«
»Bist du der Sohn des Herrn Reihenfels?«
»Ja, ich bin Oskar Reihenfels.«
»Bitte,übergib deinem Vater diese Karte.«
Jetzt nahm das Kind sie und sprang die Treppe hinauf.
»Wenn der Sohn den Charakter vom Vater geerbt hat, so werde ich eine schwere Mission zu erfüllen haben,« murmelte der Herr und schüttelte nachdenklich den Kopf.
Schon kam Oskar wieder die Treppe herab und führte den Fremden in das Zimmer. Der Gelehrte war eben dabei, das Mittagessen zu bereiten; denn seine Frau lag hilflos im Bett.
Der Fremdeüberflog das Zimmer, er sah hier zwar Armut, aber auch Sauberkeit und Fleiß.Über sein steinernes Gesicht zuckte ein verräterischer Zug, als er die bleiche Frau im Bett liegen sah.
Der Gelehrte stand wie erstaunt da, die Augen bald auf die Karte in seiner Hand, bald auf den Eingetretenen heftend.
»Ich weiß nicht, wie ich mir Ihren Besuch erklären soll, Mister Wilkens,« sagte er,»Sie sind Detektiv und ich…«
»Seien Sie ohne Sorge,« unterbrach der Detektiv ihn lächelnd,»mich führt nicht der Dienst zu Ihnen, Herr von Reihenfels.
Der Gelehrte richtete seine etwas gebeugte Gestalt plötzlich hoch auf.
»Ich bin auch völlig ohne Sorge, denn ich habe ein reines Gewissen!« entgegnete er stolz.
»Sie nannten mich eben Herr von Reihenfels, und jetzt weiß ich, was Sie zu mir führt. Bitte, setzen Sie sich, Mister Wilkens! Entledigen Sie sich Ihres Auftrages, ich bemerke aber gleich, daß Ihre Mission zwecklos ist.«
Oskar wischte einen Stuhl ab und bot ihn dem Detektiven an. Ein Blick der Frau rief den Gatten zu sich.
»Sei nicht so hart, Friedrich!« flüsterte sie ihm bittend zu.
»Ich bin nicht hart, ich tue und sage nur, was ich für recht erachte.«
Er nahm neben dem Bett der Frau Platz, Oskar setzte sich zur Seite auf einen Schemel nieder und blickte den Mann mit dem bartlosen Gesicht mißtrauisch an. Das war ein Detektiv, der Verbrecher aufspürt und verhaftet. Was wollte er von seinem Vater?»Herr von Reihenfels,« begann Wilkens.
»Mein Name ist Friedrich Reihenfels,« unterbrach ihn gleich der Gelehrte.
»Wie Sie wünschen. Bereits vor zwei Monaten hat Ihr Herr Vater die Londoner Polizei beauftragt, sie aufzusuchen und heimlich beobachten zu lassen…«
»Sehr freundlich von meinem Vater,« erklang es. bitter.
»… und das ist geschehen. Daraufhin ist er entsprechend benachrichtigt worden, und jetzt ist er hier, um sich mit Ihnen zu versöhnen.«
»Hier in London?«
Ja, er wohnt im Hotel.«
»Warum kommt er nicht zu mir?«
»Das weiß ich nicht. Er will, daß Sie zu ihm kommen.«
Keine Muskel zuckte im Antlitz des Gelehrten, in den Zügen der Frau dagegen war eine halbängstliche, halb freudige Spannung zu lesen, und Oskar runzelte die Stirn.
»Wissen Sie, wodurch das zwischen uns herrschende Zerwürfnis entstanden ist?« fragte er leise nach langer Pause.
»Ihr Vater hat sich nur wenig darüber ausgesprochen.«
»Weil er Grund zum Schweigen hat.«
»Und Sie keinen?«
»Nicht den geringsten.«
»Wollen Sie Ihren Vater aufsuchen?«
»Nein.«
»Bedenken Sie, es ist Ihr Vater.«
»Und er soll bedenken, daß ich sein Sohn bin, den er in höchst ungerechter Weise von sich gestoßen, dem er schon als Kind sein Haus verboten, dem er die Vaterliebe aus dem Herzen gerissen hat!« rief Reihenfels fast heftig.»Ich bin nicht abgeneigt, mich mit ihm zu versöhnen, aber zu mir muß er kommen.«
»Er verlangt, daß Sie den ersten Schritt tun.«
»Ich komme nicht zu ihm!«
»Das war Ihr letztes Wort?«
»Mein letztes!«
Reihenfels nahm die Hand seiner zitternden Gattin und preßte sie in der seinen, der Detektiv rieb sich mit seinem Taschentuche nachdenkend die hohe Stirn.
»So ist also kein Ausgleich möglich?« begann er wieder.
»Auf diese Weise nicht.«
»Wollen Sie nicht erfahren, warum Ihr Vater eine Versöhnung anbahnen will?«
»Es ist mir gleichgültig.«
»Seine zweite Gemahlin ist vor einem Vierteljahre gestorben.«
»O, das ist also der Grund!« rief Reihenfels und sprang auf.»Also nun, da der Rausch verflogen ist, denkt er wieder an seinen Sohn jetzt fühlt er sich einsam, jetzt verlangt er nach anderer Liebe, als die, die ihm jenes Weib, das ich nie Mutter nannte, bieten konnte. Nein, jetzt verlange ich erst rech