2. Kapitel
Ich war mehr als verärgert. Wie hatte ich mich nur für diesen Blödsinn breitschlagen lassen können? Reinhard hatte mich schamlos manipuliert, auf die Tränendrüse gedrückt, mich ohne Skrupel um den Finger gewickelt. Verdammt!
Ich verbrachte einige fruchtlose Minuten damit, mir selber leidzutun, vor mich hin zu fluchen und gegen den durch frühere Krisensituationen bereits verbeulten Papierkorb zu treten, ehe ich mich wieder sammelte.
Nun gut. Ich hatte mich darauf eingelassen, das war nicht zu leugnen. Am besten, ich packte den Stier bei den Hörnern.
Ich weckte meinen Computer aus dem Schlafmodus, klickte mich durch die verschiedenen Ordner, «Ärzte», «Medberichte», «stationäre Patienten», bis ich «Schwander_Cedric_1977» in der alphabetisch geordneten Liste fand und öffnete. Der Ordner war noch fast leer, einzig das Verlaufsdokument fand sich darin. Ich machte es auf.
Der Dienstarzt war offenbar fleissig gewesen – der Aufnahmebericht war schon fertig geschrieben, obwohl Cedric Schwander erst vor ein paar Stunden eingetreten sein konnte. Der Inhalt des Berichts indes war wenig ermutigend.
Cedric Schwander, so las ich, hatte während des Aufnahmegesprächs kaum ein Wort gesagt. Abgesehen von einem groben «Das geht Sie alles einen feuchten Dreck an!» hatte er sich auf mürrisches Schweigen beschränkt. Entsprechend hatte der Dienstarzt, Pascal Dürig, seine kärglichen Informationen nur über den zuweisenden Arzt beziehen können – einen Oberarzt des forensisch-psychiatrischen Dienstes, der offenbar schon im Vorfeld mehrmals zu Schwander gerufen worden war, weil dieser durch seine instabile Gemütslage und aggressiven Ausbrüche aufgefallen war. Die Versuche des Arztes, ein sinnvolles Gespräch mit Cedric Schwander zu führen, hatten aber offenbar nur wenig gebracht, waren an der unkooperativen und ablehnenden Haltung des Häftlings gescheitert. Auch nach Schwanders Suizidversuch war es dem forensischen Psychiater nicht gelungen, die eisige Abwehr des Mannes zu durchdringen, um dessen psychische Verfassung zu beurteilen und zu klären, ob weitere Selbstmordversuche zu befürchten waren. So war ihm, das konnte ich nachvollziehen, nichts weiter übrig geblieben, als uns Schwander zur Hospitalisation und Beobachtung zuzuweisen.
Die Wunden, die Schwander sich selbst zugefügt hatte, waren bildhaft beschrieben. Von ausgefransten Wundrändern, umfangreichem Gewebeverlust und multiplen tiefen Verletzungen war die Rede, Verletzungen, die Schwander offenbar ungeachtet der Stumpfheit des leichten Plastikmessers mit so viel Gewalt gerissen hatte, dass Sehnen, Nerven und Blutgefässe chirurgisch hatten versorgt werden müssen. Eine lädierte Arterie hatte zu dem erheblichen Blutverlust geführt, von dem Hans Reinhard mir berichtet hatte. Cedric Schwander, so schien es, hatte es sehr ernst gemeint mit seinen Selbstmordabsichten.
Seufzend überflog ich den Psychostatus – die psychiatrische Bestandaufnahme. Da Schwander kaum etwas von sich gegeben hatte, war dieser natürlich unvollständig; di