: Benjamin von Stuckrad-Barre
: Livealbum
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462315431
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Autor auf Lesereise, unterwegs mit dem eigenen Werk. Wie verändert sich ein Mensch, wenn er jeden Nachmittag Interviews und jeden Abend den Entertainer gibt? Das Foto in Zeitschriften vertrauter erscheint als das Spiegelbild? Was sucht und findet man auf einer Bühne und dahinter, wer steht davor und wer steht das durch? »Livealbum« erzählt von Höhenflügen und Abstürzen, von skurrilen Erlebnissen mit dem Kulturbetrieb und dessen Personal, von überwältigendem Feedback und irritierenden Rückkopplungseffekten.

Benjamin von Stuckrad-Barre, 1975 in Bremen geboren, ist Autor von »Soloalbum«, 1998, »Livealbum«, 1999, »Remix«, 1999, »Blackbox«, 2000, »Transkript«, 2001, »Deutsches Theater«, 2001, »Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft - Remix 2«, 2004, »Was.Wir.Wissen«, 2005, »Auch Deutsche unter den Opfern«, 2010, »Panikherz«, 2016, »Nüchtern am Weltnichtrauchertag«, 2016, »Udo Fröhliche«, 2016, »Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen - Remix 3«, 2018 und »Alle sind so ernst geworden« (mit Martin Suter), 2020.

Show #2


Von der Kleinstadt zum nächsten Flughafen war es viel zu weit. Ich wünschte mir einen Tourbus. Ich war nicht in der Stimmung, vom Bus in den Nahverkehrszug zu steigen, weiter in den InterRegio, von dort in den InterCity und schließlich ins Taxi und dann endlich ins Flugzeug. Ich war kein Vielflieger, der letzte Flug lag Jahre zurück, war damals billig, in die Sonne und pauschal gebucht, und deshalb verhielt ich mich sehr uncool am Flughafen: 4 Stunden zu früh da, dann der Versuch, zollfrei einzukaufen, obwohl ich nur innerhalb Deutschlands flog, und schließlich gab ich auch noch mein Handgepäck aufs Band, obwohl ich doch im Flugzeug darauf zugreifen wollte, und deshalb musste die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft das Band zurückschnurren lassen und das Papierschleifchen wieder abreißen. Hinter mir guckten die Menschen abwechselnd in den Himmel und auf ihre Uhren. Ich setzte mich in die Wartehalle und fing an, Gratiszeitungen zu lesen. Dann machte ich mir einen gänzlich würdelosen Tee: Der Fluggast selbst muss handwarmes Wasser auf Beutel gießen, und die Beutel gibt es nur in nicht schmeckenden Billigsorten wieFrüchtecocktail undOstfriesenmischung. Der Fruchtteebeutel entlässt rote Schlieren ins Wasser, und nach 3 Minuten schmeckt das Gemisch nach nichts mit Zitrone. Zum Glück war die Tasse sehr klein. Wäre sie größer gewesen, hätte ich sie aber auch ausgetrunken, denn wartend schöpft man jede Zerstreuungsoption demutsvoll aus.

Im Flugzeug saßen Henry Maske, Birgit Schrowange, Uwe Ochsenknecht, Ingo Appelt, Ilona Christen, Frank Elstner, Otto Waalkes und lauter andere Berühmtheiten, weil in der großen Stadt ja meine Lesung angekündigt war, haha, und obendrein sogar noch irgendein Fernsehereignis. Einige Minuten lang versuchte ich wie alle anderen Nichtprominenten an Bord, mich normal zu verhalten, also unauffällig, niemanden um ein Autogramm zu bitten, weder meinen Gangplatznachbarn zu fragen, wer denn der da vorne noch gleich ist, noch zu informieren, dass mir der Name auf der Zunge liege, ich aber partout nicht drauf komme, woher ich den noch malKENNE, ob der Sportler ist oder Moderator oder was es sonst so gibt. Die Prominenten taten mir leid – so künstlich normal verhielten sie sich aus lauter Angst, exaltiert zu wirken und deshalb irgendwann alsLeute von gestern inBunte zu stehen (arrogant! abgehoben!), dass sie verdammt alles erklärten und kommentierten, jeden Furz anmoderierten:

– So, dürfte ich gerade noch mal, ich muss noch mal an meine Tasche ran/Ach, ich zieh mir doch mal meine Jacke aus, ist ja doch nicht so kalt jetzt/Ist das Ihre Lüftung, so, nach rechts schrauben, ja, begreife ich auch nie, diese Zeichnungen/Stört es Sie, wenn ich die Lehne etwas zurückklappe?

Als die Stewardess Zeitschriften verteilte, traute sich keiner, die BranchenschülerzeitungenGala undBunte zu bestellen, weil die Anlässe der Berichterstattung ja direkt nebenan saßen, und es jedem Einzelnen offiziell natürlich vollkommen egal war, die schreiben ja doch, was sie wollen, das muss man professionell sehen, das gehört zum Job, schließlich verdienen wir auch eine Menge Geld, wenn es dir in der Küche zu heiß wird, geh doch in die Speisekammer. Ich hatte mir das lässiger vorgestellt, gedacht, da sagt dann Schrowange zu Maske: Guck mal, wie albern ich da schon wieder aussehe und was ich da für blöde Sachen sage, nur damit ich in die Zeitung komme. Und dann würde Maske sagen: Ja, sicherlich, aber ich