KAPITEL EINS
Es war einer der seltenen Tage, an denen Rachel tatsächlich mit der Frau zufrieden war, die sie im Spiegel sah. Obwohl sie dreiunddreißig war, sah sie eher wie fünfundzwanzig aus, und ihre Haare fielen heute gut. Sie hatte letzte Nacht gut geschlafen, und ihre braunen Augen strahlten munter. Sogar ihre Haut war heute extrem rein und schimmerte leicht im Licht des Badezimmers.
Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Sie hatte heute Training, und in etwa drei Stunden würde sie schwitzen und ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden tragen. Aber das Training machte ihr Spaß, sodass sie es gerne in Kauf nahm, verschwitzt und abgekämpft auszusehen, wenn das bedeutete, dass die Trainingseinheit gut gelaufen war. Sie lächelte in freudiger Erwartung, trotz des schrecklichen Gesangs, der aus der Dusche hinter ihr ertönte. Der Sänger war ihr Mann Peter, der „Head Over Heels“ von Tears for Fears schmetterte.
„Schatz“, sagte sie lächelnd. „Ich liebe dich ungemein, aber du hast diesen Ton um eine Trillion Oktaven verfehlt.“
Peter reagierte, indem er noch lauter sang und einen hohen Ton anschlug, der nicht einmal Teil des Liedes war. „Weißt du“, erwiderte er, „die meisten Frauen würden es zu schätzen wissen, wenn man ihnen ein Ständchen bringt, bevor sie zur Arbeit gehen.“
„Das hier erinnert mich allerdings eher an Foltermethoden, die die Armee in Afghanistan anwendet, indem sie die Gefangenen um drei Uhr morgens mit Marilyn Manson beschallen.“
„Toll. Sag deinen Vorgesetzten Bescheid. Vielleicht wäre ich eine gute Ergänzung für das FBI. Dann würdest du den ganzen Tag in den Genuss meines Gesangs kommen.“
Bevor sie antworten konnte, begann Peter wieder zu singen. Als Rachel das Bad verließ, hatte sie ein breites Lächeln im Gesicht. Es war einer dieser Tage … einer dieser Tage, an denen man schon frühmorgens einfachwusste, dass es ein guter Tag werden würde.
Trotz des schrecklich schiefen Refrains war sie froh, Peter unter der Dusche singen zu hören. In letzter Zeit tat er das öfter. Sie hatten in den letzten Wochen versucht, ein zweites Kind zu bekommen, was ein deutlich aktiveres Sexleben bedeutete. Bei ihrer ersten Tochter, Paige, hatten sie einige Schwierigkeiten gehabt, und sie hofften, dass es beim zweiten Kind etwas leichter werden würde. Sie wusste, dass es Peter nichts ausmachte, etwas Zeit in die Nachwuchsplanung zu investieren, aber Rachel hoffte, dass es bald passieren würde.
Als Rachel die Treppe hinunterging, war Paige schon wach. Sie stand vor dem Kühlschrank und versuchte auf Zehenspitzen, nach dem Orangensaft zu greifen. Sie hatte sich allein angezogen, wozu Rachel sie immer ermutigte, und nichts davon passte zusammen. Sie trug ein schwarzesDescendants-Shirt und grün-weiß gestreifte Leggings. Ihre braunen Haare waren immer noch zu Zöpfen geflochten, die Rachel ihr am Vortag gemacht hatte.
„Hallo, Kleine“, sagte Rachel, trat hinter ihre Tochter und holte ihr den Orangensaft herunter.
„Morgen, Mommy“, erwiderte Paige.
„Schön, dass du schon angezogen bist. Hast du heute was Schönes vor?“
„Nö, nur Schule“, sagte Paige, doch in ihrer Stimme schwang ein freudiger Unterton mit. Paige schien alles an der Schule zu lieben, und das war auch gut so, denn genau wie ihre Mutter, war sie nicht besonders gut darin, Anweisungen zu befolgen. Diese Eigenschaft schien sich jedoch aufzulösen, sobald Paige die Schule betrat. Ihre Lehrerin hatte nur Gutes über Paige zu sagen, worauf Rachel nicht allzu stolz zu sein versuchte.
„Und am Wochenende?“, fragte Rachel und brachte ein Glas Orangensaft zu dem Tisch, auf dem Paige vor einer Schale Cornflakes mit Apfelgeschmack saß, die sie sich offenbar schon in eine Schüssel geschüttet hatte. Rachel erschauderte innerlich bei der Kombination von Apfelcornflakes mit Orangensaft. „Hast du etwas vor?“
„Mrs. Denning hat gesagt, ich könnte auf einem ihrer Pferde reiten, weißt du noch?“
„Ja, aber ich –“
„Und Annie Jenkins gibt eine Eis-Party. Oh, und ich will den neuen Jump Park ausprobieren, von dem alle Kinder in meiner Gruppe reden!“
Rachel schmunzelte. Ihre Tochter hatte immer große Pläne. Das Mädchen konnte einfach nicht stillsitzen – ein weiterer Charakterzug, den sie von Rachel geerbt hatte. „Das hört sich ja nach einem ereignisreichen Wochenende an.“
Rachel machte sich daran, ihren Smoothie und eine Schüssel Haferflocken zuzubereiten. Da sie heute Morgen Training hatte, würde sie auf dem Weg zur Trainingsstrecke wahrscheinlich auch einen Eiweißriegel essen. Sie rechnete fest damit, dass sie am Ende völlig erschöpft und ihr Adrenalinspiegel möglicherweise stark erhöht sein würde, also war Eiweiß der Schlüssel. Sie setzte sich zu Paige an den Tisch und genoss die Tatsache, dass sie sich heute Morgen nicht hetzen musste. Wenn sie Training hatte, begannen ihre Tage etwas später als in der FBI-Außenstelle, sodass sie etwas mehr Zeit mit Paige hatte.
„Das mit den Pferden wird sich schon machen lassen“, meinte Rachel. „Ich rufe Mrs. Denning heute Abend an, um einen Termin zu vereinbaren.“
„Danke!“
Als Rachel sich gerade daran machte, ihren Haferbrei zu essen, kam Peter in die Küche. Er hatte sich angezogen und war gerade dabei, seine Krawatte zu binden, als er in die Küche kam. Nachdem er sie festgezogen hatte, begann er mit seiner schnellen Routine: Er steckte einen Bagel in den Toaster und schenkte sich eine große Tasse Kaffee ein. Rachel nahm sich einen Moment Zeit, um ihn zu beobachten, wie er schnell durch die Küche wirbelte. Er schien gute Laune zu haben, und das war auch gut so. Er sah so viel besser aus, wenn er lächelte (aber das war wahrscheinlich bei allen Männern so, oder?). Er musste dringend zum Friseur, worauf sie ihn jedoch nicht hinweisen wollte. Außerdem gefiel es ihr, wenn ihm sein blondes Haar leicht in die Stirn hing. Dadurch sah