: Cecelia Ahern
: Vermiss mein nicht Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104001142
: 1
: CHF 4.00
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Sandy Shortt zehn Jahre alt ist, verschwindet ein Mädchen aus ihrer Klasse. Seit dieser Zeit sucht sie leidenschaftlich nach allem, was vermisst wird: nach Socken, Schlüsseln und später auch nach Menschen. In ihrer Suchagentur macht sie Angehörigen Mut, denn sie gibt niemals auf. Doch als Sandy den Auftrag bekommt, den Bruder von Jack Ruttle wiederzufinden, verirrt sie sich im Wald und verschwindet selbst - an einen geheimnisvollen Ort, den alle nur »Hier« nennen ... Fantasievoll, spannend und tief berührend macht sich Cecelia Aherns Roman auf die Suche - nach dem Leben, der Liebe und uns selbst. »Was für ein bezauberndes Märchen!« Für Sie

Cecelia Ahern erzählt Geschichten, die unvergleichlich inspirieren und berühren. Sie ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt und vielseitig wie wenige andere, schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konz pte und Theaterstücke. Für ihre Werke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt, zum Beispiel »P.S. Ich liebe Dich« mit Hilary Swank und »Für immer vielleicht« mit Lily Collins. Cecelia Ahern ist Jahrgang 1981, hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Norden von Dublin.

Drei


Geboren und aufgewachsen bin ich im County Leitrim, dem mit ungefähr 25000 Einwohnern kleinsten irischen County. Da meine Heimatstadt früher die Hauptstadt war, sind dort die Überreste einer Festung und noch ein paar andere altehrwürdige Gebäude zu bewundern. Heute hat das Städtchen allerdings seine Bedeutung verloren und ist praktisch zu einem Dorf geschrumpft. Die Gegend ist hauptsächlich hügelig, aber es gibt auch richtige Berge mit tief eingeschnittenen Tälern und pittoresken Seen. Der Boden kann besonders gut Wasser speichern, und es ist ein stehender Witz, dass man die Grundstücke in Leitrim nach Litern und nicht nach Hektar verkauft. Leitrim grenzt nirgends ans Meer, sondern im Westen an Sligo und Roscommon, im Süden an Roscommon und Longford, im Osten an Cavan und Fermanagh und im Norden an Donegal. Wenn ich dort bin, werde ich jedes Mal von klaustrophobischen Gefühlen überfallen.

Besonders bezeichnend für Leitrim aber ist der Spruch, dass das Beste an dieser Grafschaft die Straße ist, die nach Dublin führt. Mit siebzehn war ich mit der Schule fertig und landete tatsächlich auf ebendieser Straße, als ich meinen Ausbildungsplatz bei der Polizei bekam. Seither habe ich den Ort meiner Herkunft nur äußerst selten mit meiner Gegenwart beglückt. Ungefähr alle zwei Monate besuche ich meine Eltern in ihrem Reihenhäuschen, das in der kleinen Sackgasse mit zwölf Häusern steht, in der ich aufgewachsen bin. Gewöhnlich nehme ich mir vor, übers Wochenende zu bleiben, aber meistens halte ich es nur einen Tag dort aus und muss einen dringenden Notfall bei der Arbeit vorschützen, um mir so schnell wie möglich meine Tasche zu schnappen, die ich vorsorglich immer unausgepackt neben der Tür stehen lasse, und in Windeseile auf der Straße, die das Beste an Leitrim ist, das Weite zu suchen.

Nicht dass ich je eine schlechte Beziehung zu meinen Eltern gehabt hätte. Sie waren immer sehr nett zu mir, haben mich unterstützt, wären jederzeit für mich durchs Feuer gegangen oder von einem Berg gesprungen und hätten mich mit ihren Leibern vor heransausenden Pistolenkugeln beschützt. Aber die Wahrheit ist, dass mir ihre Gesellschaft unbehaglich war. In ihren Augen konnte ich sehen, was sie sahen, und das gefiel mir nicht. Ich sah meine Reflektion in ihren Gesichtern deutlicher als in jedem Spiegel. Manche Menschen können das – sie schauen einen an und teilen einem mit ihrem Gesichtsausdruck unmissverständlich mit, wie man sich soeben verhalten hat. Vermutlich verfügten meine Eltern über diese Fähigkeit, weil sie mich liebten, aber ich konnte einfach nicht lange mit Leuten zusammen sein, die mich liebten – wegen dieser Augen, wegen dieses Spiegelbilds.

Schon als ich noch ein Kind war, sind sie auf Zehenspitzen um mich herumgeschlichen, haben mich in dieser selbst erzeugten Stille argwöhnisch beobachtet, Pseudogespräche geführt und gekünsteltes Gelächter produziert, das überall im ganzen Haus widerhallte. Sie versuchten, meine Gedanken abzulenken und eine entspannte Atmosphäre von Normalität zu schaffen. Aber ich durchschaute sie. Ich wusste auch, warum sie sich so aufführten, und so schafften sie letztlich nur, mir bewusst zu machen, dass etwas nicht stimmte.

Sie waren so hilfsbereit, sie liebten mich so sehr, und jedes Mal, wenn ich wieder einmal das Haus auf den Kopf stellte, um etwas zu suchen, gab es die gleichen netten Abwehrmechanismen. Milch und Kekse am Küchentisch, Musik aus dem Radio, das Brummen der Waschmaschine im Hintergrund – alles nur, um die unbehagliche Stille zu übertünchen, die unweigerlich über uns hereinbrach.

Mum betra