Die Ewigkeit
Samstag, 27. Oktober 2012
7.00 Uhr
Königswinter, Finsterwald, Friedhof des versunkenen Mondes
Der Wind fuhr durch die gefrorenen Blätter der Trauerweide und ließ sie winterlich knistern. Es war kalt geworden in dieser Nacht. Raureif bedeckte die Wiesen und Nebel war heraufgezogen, nachdem der Regen aufgehört hatte.
Ein einsamer Schwan zog seine Bahnen über den See, von dessen Ufer Lavena ihn betrachtete. Sein weißes Gefieder erstrahlte in ihrem Glanz und leuchtete wie ein Stern, der vom Himmel gefallen war.
Sie hatte die Arme um ihren Körper geschlungen, obwohl sie weder Kälte noch Wärme empfand. Es war mehr das Bedürfnis, sich selbst zusammenzuhalten, weil sie fürchtete, sonst wie Glas zu zerspringen – hin- und hergerissen zwischen dem, was sie wollte, und dem, was sie tun musste.
Seit Minuten, vielleicht waren es auch Stunden, blickte sie auf das trübe Wasser und versuchte sich dazu zu bringen, hineinzusteigen. Sie stellte sich vor, wie ihre Schultern bedeckt wurden und sie untertauchte, ohne ein letztes Mal Luft zu holen. Immer tiefer würde sie hinabsinken, bis sie den Grund des Sees erreichte. Dort unten gäbe es keine Geräusche mehr, weder das Wispern der Bäume noch den Ruf des Uhus. In vollkommener Stille wäre sie allein mit ihren Gedanken und könnte in einen tiefen Traum gleiten. Über ihr würden sich die Seerosenblätter schließen und sie vor der Welt verbergen. Das Schicksal würde seinen Lauf nehmen, ohne dass sie länger ein Teil davon wäre.
Der Frieden, welcher sie erwartete, war verlockend. Schon einmal hatte sie für eine sehr lange Zeit geschlafen und war frei von Sorgen gewesen. Damals hatte sie keine Wahl gehabt. Aber wenn sie nun ging, dann geschah es in dem Wissen, dass sie den Menschen, den sie am meisten auf der Welt liebte, in der Finsternis zurücklassen musste. Arian stand gegen die Sicherheit von unzähligen Menschen, deren Leben von den Toten bedroht wurde, solange Lavenas Licht die Unterwelt erhellte. Obwohl seine Seele verloren war, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, ihn aufzugeben.
Es ging nicht einmal nur um die Menschen dieser Welt, sondern auch um die Bewohner Engellands, die sie als Mond am Himmel brauchten, um aus ihrem zweihundertjährigen Schlaf erwachen zu können. Lavena kannte jeden Einzelnen von ihnen. Sie hatte gesehen, wie Kinder ihren ersten Atemzug nahmen, wusste, welche Lieder ihre Mütter ihnen zum Einschlafen vorsangen, und konnte sich an die Ängste der Männer erinnern, von denen sonst niemand erfahren durfte. Sie waren ihr alle ans Herz gewachsen und sie fühlte sich verantwortlich für sie. Umso schwerer wog die Last in ihrer Brust.
Längst hätte sie dem Spuk ein Ende bereiten können, stattdessen harrte sie am Ufer aus und ließ die Zeit verstreichen, ohne etwas zu unternehmen. Sobald die Sonne ihre ersten goldenen Strahlen den Horizont emporschickte, wusste Lavena, dass es zu spät war.
Tiefe Schuld und großes Bedauern quälten sie, als sie sich von einem auf den anderen Augenblick in der Unterwelt wiederfand. Sie hatte versagt und nur ihretwegen waren die Toten nun munterer denn je. Während sie zuvor noch träge und ziellos durch d