: Maya Shepherd
: Der Dornenprinz
: tolino media
: 9783739484341
: 1
: CHF 2.40
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 109
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Seele, die einmal mit dem Bösen in Berührung kommt, gilt für immer als verloren. Dennoch ist es unmöglich, sich vor ihm zu verschließen, denn das Böse findet immer einen Weg zu den Menschen. Es hat viele Gesichter und kann in jeder Erscheinungsform auftreten, selbst mit einer winzigen rosa Nasenspitze, die lustig hin und her wackelt, wenn es sein Schnäuzchen in die Luft reckt. Kein Haus, nicht einmal ein Schloss, ist vor dem Bösen sicher.

Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, Kindern und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren. Die Grimm-Chroniken wurden 2019 mit dem Skoutz-Award in der Kategorie Fantasy ausgezeichnet.

Betreten auf eigene Gefahr


Mittwoch, 24. Oktober 2012

23.45 Uhr

Königswinter, Finsterwald, Lebkuchenhaus

Es war verrückt. Vollkommen verrückt! Gerade hatte Maggy noch in dem verwitterten Achterbahntunnel des ehemaligen Spreeparks gestanden und nun spazierte sie durch eine Tür geradewegs ins Lebkuchenhaus. Trotz des dämmrigen Lichts im Inneren war der Duft nach Schokolade unverkennbar. Zudem erwartete Jacob sie bereits und deutete auf die Kohle im Ofen, die noch rot glühte.

»Wer auch immer hier war, wir haben ihn nur knapp verpasst«, meinte er konzentriert und ließ dabei völlig unbeachtet, dass sie gerade mit nur einem einzigen Schritt hunderte Kilometer, die zwischen Berlin und Königswinter lagen, überbrückt hatten.

Maggy konnte nicht so leicht den Zauber der Magie von sich abschütteln. Die Existenz des Portals war unglaublich! Nicht vorzustellen, wohin man damit überall gelangen könnte.

Sie schritt durch die Stube und stellte sich vor den Ofen, aus dem ihr noch Hitze entgegenschlug. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, dass Joe und Will direkt hinter ihr wären. Das Lebkuchenhaus war zu ihrer Zuflucht geworden, als ihre Welt im Wahnsinn versunken war. Sie hatten gescherzt, weil Maggy die Einzige von ihnen gewesen war, die in der Lage war, ein Feuer zu entfachen. Im Spaß hatten die beiden sie als Hexe bezeichnet und nicht geahnt, wie nah sie damit der Wahrheit kamen.

»Ember muss hier gewesen sein«, erwiderte Maggy, nachdem einige Sekunden verstrichen waren. »Nur sie und ich können die Flammen auflodern lassen.«

Jacob nickte. Für ihn ergab das Sinn. »Es ist wahrscheinlich, dass sie sich in Begleitung von jemandem befindet, den wir kennen.«

Maggy vermutete, dass Joe nach Königswinter zurückgekehrt war, um nach Will zu suchen. In seiner Verzweiflung hatte er sicher auch die ›Grimm-Chroniken‹ gelesen, um darin Hinweise zu finden, die ihm weiterhelfen konnten. Vielleicht war er so auf Ember gestoßen und es war ihm gelungen, sie in dieser Welt aufzuspüren.

Will und Margery befanden sich höchstwahrscheinlich in der Gewalt der bösen Königin. In dieser Hütte hatte Maggy beide zum letzten Mal außerhalb eines Traumes gesehen. Hier war es gewesen, als sich beide gegenseitig ihre Liebe gestanden hatten und Maggy ein stummer Zeuge davon geworden war. Die Erinnerung daran war wie ein Kniff in ihre Brust, nicht angenehm, aber ertragbar. Solange sie Will finden würden, wäre alles andere unwichtig.

»