: Maya Shepherd
: Der goldene Apfel
: tolino media
: 9783739438764
: 1
: CHF 1.60
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 80
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Tränen verschleierten ihren Blick, als sie ihm den goldenen Apfel aus der Hand nahm. Der Schein des Feuers spiegelte sich in seiner glänzenden Oberfläche. »Bis bald«, flüsterte sie, bevor sie den Mund öffnete und in die Frucht biss. Das Stück blieb ihr im Hals stecken. Sie rang nach Atem, bevor sie die Augen schloss und ihr die Knie wegsackten. Rumpelstilzchen hatte gesagt, dass man Schneewittchen nur in ihren Träumen töten könne. Will betete, dass er recht behielt. Sie durfte nicht tot sein.

Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, Tochter und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren.

Das Lazarus-Bad


Irgendwo in den Sieben Weltmeeren, Januar 1594

Das kleine Boot trieb träge über die ruhige See. Kaum dass es außer Sichtweite derFahrender Tod war, fand Dorian den Weg zu mir zurück. Im ersten Moment war ich unglaublich erleichtert, ihn wiederzusehen, dann fragte ich mich jedoch, warum er nicht früher aufgetaucht war. Er hatte mich mit Blaubart und seiner Mannschaft allein gelassen, auch wenn er mir versichert hatte, immer in der Nähe zu bleiben. Er war nicht da gewesen, als ich ihn gebraucht hätte.

»Wo bist du gewesen?«, fuhr ich ihn an, kaum dass er Platz genommen hatte.

»Nicht weit«, entgegnete er mir, ohne sich weiter zu erklären.

Offenbar war er zu weit weg gewesen, denn sonst hätte ich meine Seele nicht an den Teufel verkaufen müssen. Zum ersten Mal empfand ich Wut auf ihn. Es lag nicht an dem, was ich mich gezwungen gesehen hatte, zu tun. Selbst wenn er da gewesen wäre, hätte er nichts daran ändern können. Vielmehr verletzte mich sein Schweigen. Er war mir gegenüber nicht ehrlich und behielt so viel für sich, als wäre ich seines Vertrauens nicht würdig.

»Wie bist du an das Boot gekommen?«, fragte er mich schließlich. Entweder bemerkte er meinen Zorn nicht oder er ignorierte ihn absichtlich.

»Die Mannschaft wollte mich nicht mehr auf ihrem Schiff haben«, sagte ich leichthin. »Blaubart brachte es nicht über sich, mich von Bord zu stoßen, und hat mir deshalb das Beiboot überlassen.« Es war erstaunlich, wie leicht mir diese Lüge über die Lippen ging. Ich konnte ihm dabei sogar in die fast schwarzen Augen sehen.

Ich erzählte ihm nichts von meiner verkauften Seele. Dies war nun mein Geheimnis. Es tat einerseits weh, etwas vor ihm zurückzuhalten, da es meiner Vorstellung von einer harmonischen Beziehung widersprach. Andererseits verlieh es mir auch ein Gefühl von Ebenbürtigkeit.

Er nickte nur und schien nicht einmal für einen Moment an meinen Worten zu zweifeln, dabei war Blaubart ihm sicher nicht als Mann der Gnade erschienen. Vielleicht schloss er es einfach aus, dass ich in der Lage sein könnte, ihn zu belügen.

Eine dichte Nebelbank hüllte uns ein. Zu Beginn waren wir noch euphorisch gewesen und hatten kräftig die Ruder geschwungen, in der Hoffnung, schon bald den rettenden Turm der Erdenmutter zu entdecken. Schwielen bedeckten meine Hände, die Arbeit nicht gewohnt waren. Selbst als der Nebel aufgezogen war, hatten wir noch nicht aufgegeben, sondern immer weiter gerudert. Wir hatten geglaubt, dass der Nebel sich mit der aufgehenden Sonne verziehen würde. Doch wir hatten seit sieben Tagen keinen Sonnenaufgang mehr erlebt. Nach dem dritten Tag hatten wir die Ruder sinken lassen.

Das Wetter war grau, düster und trist. Dicke Wolken bedeckten den Himmel. Ein Unterschied zwischen Tag und Nacht war kaum zu erkennen. Die Jahreswende war an uns vorübergegangen, ohne dass wir Notiz von ihr genommen hatten.

Wir mussten einsehen, dass, selbst wenn der Turm sich in unserer Nähe befand, wir ihn d