: Maya Shepherd
: Rosenkuss und Dornenkrone
: tolino media
: 9783739482774
: 1
: CHF 2.40
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 140
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Denk immer daran, dass Rosen Dornen haben. Sie sind nicht nur schön anzusehen, sondern können Schmerz verursachen.« Die Tage der Kindheit sollten erfüllt sein von Wärme und Licht. Rosalies waren tiefschwarz. Wenn sie an ihre ersten Monate auf dieser Welt zurückdachte, verspürte sie keine Zufriedenheit in ihrem Herzen, sondern hatte einen salzigen Geschmack im Mund. In der Obhut von Vlad Dracul wurde sie von klein auf darauf trainiert, Margery im Krieg der Farben zu töten. Zwei Schwestern, die geboren wurden, um einander zu hassen, bis nur noch eine von ihnen übrig blieb. Ist Rosalie wirklich böse oder trägt sie vielleicht mehr Gutes in sich, als sie selbst glaubt?

Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, Kindern und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren. 2019 gewann Maya Shepherd mit den Grimm-Chroniken den Skoutz-Award in der Kategorie"Fantasy".

Rosenkuss


Irgendwo zwischen Engelland und Transsilvanien, irgendwann zwischen 1796 – 2003

Die frühesten Erinnerungen eines Kindes sind nicht konkret, sondern eher von Sinneseindrücken bestimmt: die sanfte Stimme der Mutter, das kitzelnde Gefühl eines Lachens, der süße Plätzchenduft und die Geborgenheit von Armen, die einen in den Schlaf wiegen. Die Tage der Kindheit sollten erfüllt sein von Wärme und Licht.

Rosalies waren tiefschwarz.

Wenn sie an ihre ersten Monate auf dieser Welt zurückdachte, verspürte sie keine Zufriedenheit in ihrem Herzen, sondern hatte einen salzigen Geschmack im Mund.

Tränen sind die einzige Möglichkeit von Babys, um den Menschen in ihrem Umfeld ihre Bedürfnisse mitzuteilen. Sie weinen nicht nur, wenn sie Hunger haben, sondern auch wenn sie sich nach Nähe sehnen.

Rosalie machte von Anfang an die Erfahrung, dass Tränen unerwünscht waren und nur zu Einsamkeit führten. Immer wenn sie weinte, sperrte man sie in eine dunkle Kiste, die erst geöffnet wurde, wenn sie wieder still war.

Ihre erste Zeit verbrachte sie fast ausschließlich in der Dunkelheit, bis sie in der Lage war, zu begreifen, was von ihr erwartet wurde. Danach weinte sie nie mehr.

Für ein Kind gibt es zu Beginn keinen größeren Helden als Mutter oder Vater. Sie bilden die Achse des Universums und alles scheint sich um sie zu drehen. Jede Handlung ist mit einer Erwartung auf eine Reaktion verknüpft. Sei es, um den Eltern zu gefallen oder die eigenen Grenzen auszutesten. Dabei ist es völlig gleichgültig, wie die Eltern sich verhalten, die uneingeschränkte Liebe ihres Kindes ist ihnen gewiss. Kinder urteilen nicht, denn sie können noch nicht zwischen Richtig und Falsch unterscheiden.

Rosalie hatte weder eine Mutter noch einen Vater. Ihr Universum bestand aus Männern mit bleicher Haut und schwarzer Kleidung, die ihr Essen und Trinken brachten, sie wuschen und anzogen, aber sie niemals in den Arm nahmen oder mit ihr spielten. Sie konnte die Männer nicht auseinanderhalten, sodass sie für eine Weile gar nicht merkte, dass es verschiedene waren. Für sie war es immer derselbe Mann, der nur jeden Tag ein anderes Gesicht trug.

Die meisten Kinder lernen das Sprechen, indem ihre Eltern sich mit ihnen unterhalten, ihnen Geschichten erzählen oder etwas vorsingen.

Rosalie war in Engelland im Jahr 1796 geboren worden. Sobald Vlad Dracul sie als Neugeborenes jedoch mit sich nach Transsilvanien nahm, lag eine Zeitspanne von zweihundert Jahren zwischen ihrer Herkunft und ihrer neuen Heimat.

Zweihundert Jahre, die nicht mehr als ein paar Tage auf einem Schiff bedeuteten, jedoch den Fortschritt der modernen Technik mit sich brachten. Das ermöglichte, dass ihre Sprachentwicklung weitestgehend von einem Fernsehapparat übernommen wurde, der an der Wand angebracht war und mehrere Stunden täglich lief. Zuerst faszinierten die bunten Bilder das Mädchen, die wie ein Fenster in eine andere Welt wirkten. Doch sie verlor das Interesse an ihnen, sobald sie erkannte, dass sie keinen Einfluss auf die Figuren und Menschen hatte, die sie in dem kleinen Kasten zu sehen bekam. Sie redeten nicht mit ihr, sondern waren immer nur mit sich selbst beschäftigt, als wäre Rosalie unsichtbar. Das Flackern des Bildschirms wurde zu einem brummenden Hintergrundgeräusch.

Einmal in der Woche überprüften die dunklen Männer ihren sprachlichen Fortschritt, in