1. ZOE
Das ist der Tag, vor dem unsere Eltern sich immer gefürchtet haben.
Das ist der Tag, vor dem sie uns immer gewarnt haben.
Das ist der Tag, von dem ich geglaubt habe, dass er niemals eintreten würde.
Und obwohl es der Tag ist, mit dessen täglicher Erwähnung ich aufgewachsen bin, trifft uns der Angriff der Legion völlig unvorbereitet. Wir wussten immer, dass er irgendwann kommen würde. Die Lage hat sich immer mehr zugespitzt. Während wir zu Beginn noch mit ihnen zusammengearbeitet haben, entzweiten sich unsere Vorstellungen über die Jahre immer weiter voneinander, bis sie so verschieden waren, dass selbst ein friedliches Gespräch längst nicht mehr möglich war.
Die Legion will die Kontrolle behalten, aber wir wollen das Gegenteil: unsere Freiheit.
Wenn meine Eltern und die anderen Rebellen über die Legion sprechen, wissen sie, wovon sie reden, denn sie waren einst ein Teil von ihr. Sie lebten in einer Sicherheitszone unter der Erde, sahen niemals die Sonne, den Mond oder die Sterne, fühlten keinen Regen oder Wind auf ihrer Haut, ernährten sich von Tabletten und folgten dem obersten Gebot: Keine Gefühle! Denn Gefühle sind der größte Feind der Menschheit. Sie bringen einen dazu, Dinge zu tun. Schreckliche Dinge. Dinge, die so grausam sind, dass sie einen ganzen Planeten zerstören können – die Erde.
Als im Dritten Weltkrieg die Atombomben fielen, war danach alles radioaktiv verseucht und den letzten Überlebenden blieb nur die Zuflucht in die Legion und ihre Sicherheitszone.
Seitdem sind nun achtzig Jahre vergangen und die Erde hat es geschafft, sich selbst zu heilen. Es geht keine Gefahr mehr von ihr aus, dafür ist der Retter der Menschheit zu einer geworden: die Legion.
Wenn die anderen von ihr sprechen, sind ihre Worte für mich wie Erzählungen aus einer fremden Welt, denn ich habe diesen Ort nie von innen gesehen. Ich bin in Freiheit geboren. Es gibt keine Mauern, die mich eingrenzen, außer jene, die ich mir selbst errichte.
Jep wickelt sich eine Strähne meines langen blonden Haares um den Finger. Ein schelmisches Lächeln liegt in seinem Gesicht, als sein Daumen über meine Wange streift. Seine Haut ist rau von der harten Arbeit.
»Deine Augen haben dieselbe Farbe wie der Himmel«, behauptet er, woraufhin ich nur die Augen verdrehe und ihn frech angrinse, als ich ihm den Flachmann aus der anderen Hand nehme und die Öffnung an meine Lippen setze. Er braucht mir nicht zu schmeicheln.
Der scharfe Geruch des Alkohols steigt mir in die Nase, bevor ich einen großen Schluck nehme und dann angewidert das Gesicht verziehe.
Jep prustet laut los, woraufhin ich ihm erschrocken eine Hand auf den Mund presse.
»Sei still, du Idiot!«, fauche ich alarmiert. »Oder willst du, dass sie uns erwischen?«
Er blickt mich mit großen Augen an und ich lasse meine Hand nach unten gleiten, was er zu bedauern scheint.
Wir sitzen am Seeufer, abseits von den Höhlen, die unser Zuhause sind. Der Flachmann gehört Gustav. Er hat den Alkohol selbst gebrannt und rückt ihn nur zu besond