Kapitel 1
Der Fahrtwind fuhr mir unter mein Kleidchen, das locker um meine Beine flatterte, meine Haare wirbelten mir um den Kopf und fühlten sich luftig und frei an. Ich trat in die Pedale und sauste glücklich über den neuen Radweg am Hirschgrunder See. Lola und Clärchen sausten genauso glücklich vor mir her und verschwanden hin und wieder im Wasser. Zumindest nahm ich an, dass es meine Hunde waren, die im dunklen See plantschten, denn die Sonne war bereits untergegangen, und es war zu dunkel, um Genaueres zu erkennen. Sehr deutlich sah ich jedoch meinen alten Hundeherren Milo. Der saß nämlich mit stoischer Miene vorne im Lastenteil des Fahrrads und sah um Jahre jünger aus, während er die Ohren flattern ließ und – genau wie ich – die Geschwindigkeit genoss.
Alex holte mich ein und fuhr nun neben mir. Nichts war schöner, als in die beginnende Nacht zu radeln und dabei den Fahrtwind zu spüren!
»Und du wolltest keine Leihstation am Campingplatz«, grinste er. »Jetzt bist du diejenige, die sich ständig ein Fahrrad ausleiht.«
Damit hatte Alex recht. Ich hatte mich wochenlang geweigert, auf die Anfrage der Firma Eagle-e-Mobil zu antworten. Vroni hatte mich richtig geschimpft, als sie erfuhr, dass auf unserem Campingplatz schon längst eine Verleihstation stehen würde, wenn ich nur nicht so zögerlich wäre.
»Ja. Schließlich habe ich meine Liebe zu Lasten-E-Bikes entdeckt«, strahlte ich und bremste, weil mein Handy loswalzerte – Jonas, mein Freund, hatte mir den Donauwalzer als Klingelton eingestellt.
»Wo bist du?«, fragte er.
»Ich …«
»Sag nichts, du fährst schon wieder Fahrrad«, seufzte er.
»Bist du schon zu Hause?«, wollte ich wissen.
»Ja.«
»Alle Verbrechen geklärt?«, zog ich ihn auf, denn Jonas war Kriminalhauptkommissar. »Heute war bestimmt die Hölle los.«
»Naja. Ging so«, antwortete er, denn obwohl Vatertag und Christi Himmelfahrt war, also Feiertag, war er im Dienst. Schließlich war er kein Vater.
»Bin gleich da!«, versprach ich.
In einiger Entfernung hörte ich einen dumpfen Knall, und neben mir flog aus dem Schilfgürtel ein Schwarm kleiner Vögel auf, der Richtung Wald stob. Ich sah den Vögeln kurz nach, dann radelten Alex und ich in kommodem Tempo weiter, denn nur ich hatte ein E-Bike, Alex fuhr Mountainbike.
»Ich bin vor allen Dingen froh, dass ich darauf bestanden habe, dass unser Hirschgrunder Forst innerhalb der Reichweite der Fahrräder ist«, erzählte ich. »Stell dir vor, die wollten, dass die Fahrräder am Waldrand stehen bleiben und nicht mehr weiterfahren.«
»Damit die Leute die Fahrräder nicht im Wald stehen lassen«, nickte Alex. »Kann ich verstehen. Schließlich will die Firma nicht in den Tiefen des Forsts nach Fahrrädern suchen.«
»Ja, die wollen alle Fahrzeuge mit ihrem Lieferwagen erreichen können«, bestätigte ich. »Aber hier bei uns macht es überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht in den Wald hineinfahren darf. Die ganzen schönen Strecken, die dann alle wegfallen!«
»Und die Firma hat sich da einfach drauf eingelassen?«, wunderte sich Alex.
»Das nun nicht gerade«, antwortete ich, »aber es gibt jetzt die Klausel, dass ich diejenige bin, die suchen muss, wenn ein Fahrrad nicht zur Station zurückgebracht wird.«
»Wie bitte?«, fragte Alex mit empörtem Unterton. »Ist das überhaupt legal?«
»Die bringen schon Fahrräder zurück und laden sie auf«, beruhigte ich Alex. »Eben nur dann nicht, wenn sie im Wald abgestellt werden.«
»Und dem hast du zugestimmt?«
»Wieso nicht? Meine Hirschgrundis sind der Gipfel der Verlässlichkeit«, erklärte ich ihm. »Die würden niemals irgendwelche Räder in den See werfen oder hinter einen Busch im Wald.«
Diejenige, die sich nicht an die Aufforderung hielt, bei Nichtgebrauch das Rad zurückzustellen, war nämlich i