Kapitel 1
Es fühlte sich unwirklich an – so als wäre ich nach langer, schwerer Krankheit zum ersten Mal draußen auf meinem Campingplatz. Aber das lag nicht an meinem Gesundheitszustand, sondern an dem der Welt. »Corona-Zeit« hatte Evelyn manchmal gesagt, während sie wahlweise auf meinen Fernseher starrte oder auf ihr Handy. Eigentlich hatte sich Evelyn in den letzten drei Monaten überhaupt nicht nach draußen bewegt! Und ich musste zugeben, ohne meine zwei Hunde Milo und Clärchen wäre ich wahrscheinlich auch komplett im Haus versumpft!
Das warme, sonnige Wetter erfüllte mich mit kribbelnder Vorfreude – jetzt würde alles anders werden, das spürte ich bis in die kleine Zehe! Die Sonne schien, und meine Dauercamper waren alle gekommen, obwohl ich ihnen gesagt hatte, dass ich für das Klohäusl noch kein richtiges Hygienekonzept hatte. Also hatte ich die letzte Stunde damit zugebracht, die Tür des Toilettengebäudes mit Polizeiabsperrband zu überkleben und den Türgriff abzuschrauben, mit dem man das Häuschen öffnen konnte. Sollte das Ordnungsamt vorbeikommen, wäre es sehr zufrieden mit mir!
Nach und nach waren alle Dauercamper zum Klohäusl geschlendert und hatten mir dabei zugesehen. Inzwischen standen wir brav im Abstand von zwei Metern nebeneinander und starrten das Klohäusl an, als wäre es ein gefährliches Tier.
»Es heißt ja auch, dass Toilettengebäude nicht geöffnet werden dürfen«, sagte die Schmidkunz hinter ihrer Maske.
»Und die Duschen?«, fragte die Vroni kopfschüttelnd. »Ich kann mich doch jetzt nicht wochenlang nicht duschen.«
Der Gröning, ziemlich schwerhörig, hatte beide Hände hinter seine Ohrwascheln gelegt, um etwas von der Unterhaltung mitzukriegen. Momentan sah er aus wie Einstein auf dem berühmten Foto, denn seine Haare standen weiß und viel zu lang in alle Richtungen ab. Vermutlich war er wie wir alle seit Wochen nicht beim Friseur gewesen. Von ihm wusste ich, dass er in seinem uralten Wohnwagen kein benutzbares Klo hatte und deswegen auf das Klohäusl angewiesen war.
»Wir könnten Zeiten vereinbaren«, sagte die Schmidkunz. »Für jeden Haushalt eine Stunde.«
»Wir sind doch alle gesund«, widersprach die Vroni. »Und wir kennen uns doch alle!«
Dass wir uns alle kannten, hatte die Vroni schon mehrfach betont. So als wäre dadurch das Infektionsrisiko viel kleiner als bei unbekannten Personen.
»Man kann nie wissen«, erklärte uns die Schmidkunz.
Sie hatte selbst hier an der frischen Luft eineFFP2-Maske auf.
»Man ist ja schon achtundvierzig Stunden vorher ansteckend. Und wir wollen doch keinen Massenausbruch provozieren.«
Der Hirschgrund-Campingplatz als Hotspot Nummer eins in Deutschland! Das wollten wir tatsächlich nicht, dass wir in dem täglichen Bericht des Robert Koch-Instituts gelistet waren!
»Wir sind hier zu fünft«, sagte die Vroni augenrollend. »Ein Massenausbruch ist was anderes.«
Die Männer hielten sich total raus, und auch ich beobachtete nur intensiv einen kleinen Buchfinken, der über den Vorplatz hüpfte und über die Massen