: Dietmar Lykk
: Totenuhr
: Emons Verlag
: 9783863587000
: 1
: CHF 6.90
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Industriellen Margot von Roekkelsdorff wird in ihrer Schleswiger Villa buchstäblich der Hals umgedreht. Kommissar Lüthje gerät unter Tatverdacht. Sein Vater könnte ihm helfen, doch der schweigt. Er weiß, dass es um viel mehr geht. 'Die Wege des Herrn sind unergründlich', sagt Kommissar Malbek und versucht auf seine Weise, die Mauer des Schweigens um Lüthje zu durchbrechen. Aber nichts ist so, wie es scheint.

Dietmar Lykk, Jahrgang 1949, wurde in Kiel geboren und studierte Rechtswissenschaften, Soziologie und Philosophie in Kiel und Hamburg. Forschungstätigkeit und Veröffentlichungen zur Sprachsoziologie mit mehreren Aufenthalten in London. Er lebt und arbeitet bei Flensburg. Im Emons Verlag erschien sein erster Kriminalroman 'Totenschlüssel'.

London, Oktober 2009

Als Hilly Gilbert auf dem Weg zum Star Tavern ihr Büro im Gebäude der Deutschen Botschaft am Chesham Square verließ, sah sie eine etwas untersetzte Frau mit kurz geschnittenen Locken und einem alten Regenmantel vor der Tür zur Visaabteilung stehen. Sie hatte einen abgewetzten, stoffbezogenen Koffer neben sich abgestellt und las mit verkniffenem Mund und schmalen Augen die auf der verschlossenen Glastür abgedruckten Öffnungszeiten. Hilly verspürte den Impuls, ihr zu helfen, aber sie hatte Feierabend und genug mit sich selbst zu tun.

»Die Visaabteilung hat für heute geschlossen, Sie müssen morgen Vormittag wiederkommen«, rief sie ihr zu.

Die Frau stellte vor ihr den Koffer ab, holte tief Luft, hielt den Atem an, weitete die Augen, als wollte sie etwas Wichtiges sagen, und presste die Luft dann stoßartig mit nach Enttäuschung klingenden Lauten aus.

Diese Antwort war deutlicher als eine lange Tirade der Wut und Frustration.

»Wollten Sie ein Visum?«

»Ich muss nach Kiel, weil ich beweisen muss, dass meine Mutter immer gelogen hat«, sagte die Frau in rauem, hastigem Yorkshire-Dialekt, der sich so anhörte, als würde man einen Holzwagen über Kopfsteinpflaster ziehen. Dabei sah sie Hilly nicht in die Augen, sondern fixierte einen Punkt rechts über ihrem Kopf.

»Ich … ich bin … auch in Kiel geboren«, sagte Hilly überrascht. Wieso hatte sieauch gesagt? »Ich wollte gerade im Star Tavern dort hinten eine Kleinigkeit essen. Haben Sie Lust, mitzukommen und mir ein bisschen von Ihren Plänen zu erzählen?«

Hilly hatte sich mit ein paar bedauernden Worten verabschieden wollen. Aber der Satz, den die Frau aus Yorkshire gesagt hatte, hallte in ihrem Kopf nach, als hätte sie eine Dosis Lachgas geatmet.

Auf der anderen Straßenseite winkte der arrogante Fernsehkorrespondent herüber, der sie sicherlich wieder spontan in ein »nettes, neues« Restaurant einladen wollte, das teuer genug war. Man müsse sich da mal sehen lassen, sagte er jedes Mal. Er war fünfzehn Jahre jünger als sie und schwärmte für alles Neue und Junge. Also konnte es sich, wie letzte Woche, nur um vertrauliche Termine des Botschafters handeln, über die er wieder mit ihr plaudern wollte. Hilly tat so, als ob sie ihn nicht gesehen hätte, und zog Mary am Arm sanft, aber nachdrücklich weiter.

»Ich lade Sie ein«, fügte Hilly hinzu, als sie Marys zögernden Blick und den billigen Kaufhauskoffer sah. Wieder sah sie schräg an Hillys Kopf vorbei.

»Ich bin Mary Townsend.«

»Und ich heiße Hilly Gilbert.«

Sie versuchten sich die Hand zu geben. Mary hielt sie zu hoch, schoss erschreckt nach unten, fand Hillys Hand und zog sie wie eine alte Türklingel mit einer ruckartigen Handbewegung weiter nach unten.

»Aber Sie sind keine Engländerin, Sie sind vom Kontinent