2018, irgendwann im Frühjahr
Bei Tochter und Schwiegersohn
„Echt jetzt?“.
Meine Tochter sah mich mit aufgerissenen Augen ungläubig an. Unwillkürlich hatte sie ihren Kopf etwas vorgeschoben, und ihr Mund war leicht geöffnet.
„Ihr wollt wirklich mit euren Motorrädern nach Irland?“.
Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen, ihr Mund klappte zu, und ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
Au weia - das kenn ich. Wenn sie mich so anschaut bedeutet das meistens: Jetzt wird‘s ernst.
Sie lehnte sich etwas zurück, und begann mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln. Kopfschüttelnd sah sie mich an - grad so als würde sie denken: Dieser bekloppte Alte! Wann wird der denn endlich mal erwachsen! Hört das denn nie auf!?!
„Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du mit deinen beiden Bandscheibenvorfällen und dem Blechknie! Und was ist mit der Arthrose im anderen Knie? Und deinem Blutdruck?“.
Sie schnaubte durch die Nase, und verdrehte die Augen.
„Wie weit ist das denn überhaupt?“.
Ich zuckte die Schultern.
„Keine Ahnung – muss ich erst mal googeln. Aber ganz schön weit schon, glaub ich“.
Bei dem Gedanken daran wurde mir schon ein bisschen mulmig: Ich hatte bisher nur mal flüchtig auf eine alte Landkarte geschaut, und die Spanne zwischen Zeigefinger und Daumen mit dem Maßstab verglichen. Das waren bestimmt 1.900 bis 2.000 Kilometer oder so, mindestens.
Einmal quer durch den Westen Europas.
Wir würden uns die ganze Zeit im Sattel unserer Moppeds die Hintern platt sitzen, bei der für eine Fahrt durch England und Irland nicht so ganz ausgeschlossenen Aussicht auf viel Regen, Wind, Nebel und Kälte.
Wahrscheinlich würden wir frieren, klatschnass werden, uns im Linksverkehr verfahren, fragwürdiges Essen bekommen, miserablen Kaffee trinken - und uns schließlich irgendwann selbst im Hals stehen. Und das in unserem Alter! Andere Rentner sitzen während der Urlaubsreise bequem im Sessel eines Fliegers, lassen sich vom freundlichen Flugbegleiter Tomatensaft und Prosecco servieren, und freuen sich auf die All-Inclusive-Verpflegung in einem ruhigen, sonnigen Ferien-Ressort, jenseits irgendwelcher Probleme. Und was den Zustand meines Rückens und mein künstliches Knie betraf, hatte sie ja nicht ganz Unrecht. Von meinem zu hohen Blutdruck mal ganz zu schweigen.
„Da habt‘s euch aber was vorgenommen, Respekt“, meinte Schwiegersohn in Spe. Er fährt einen Chopper, und kann sich so ungefähr ausmalen, was unser Vorhaben bedeutet: Mit dem Motorrad in den äußersten Südwesten Irlands.
Und das Alles mit meinem alten Schätzchen.
Nein, damit meine ich natürlichnicht meine wunderbare Frau, mit der ich diese für unser Alter möglicherweise etwas - nun ja, nennen wir es mal ungewöhnliche Idee entwickelt hatte. Aber, vielleicht erzähl ich doch erst mal von Anfang an, wie es überhaupt dazu kam.
~
Der Ursprung von allem war das Geschenk einer Freundin zu Helgas sechzigstem Geburtstag: Jaqueline und ihr Mann Michael haben in Irland, genauer in Fahan, auf der im Südwesten gelegenen Halbinsel Dingle, ein Ferienhaus; und das Geschenk war ein Urlaub dort. Eigentlich sollte es mit dem Flieger dorthin gehen. Aber damals bekam Helga in der Firma keinen Urlaub, dann kam eine längere Krankheit dazwischen - wie so oft im Leben war immer was, und die Zeit verging und verstrich. Bis - ja: Bis wir uns zwei Jahre später kennenlernten!
Wir beide sind leidenschaftliche Motorradfahrer. Oder, wie es nicht nur in meiner Heimat dem Ruhrgebiet heißt: Wir sind Moppedfahrer. Auf einem Motorrad unterwegs zu sein ist für uns das Lebensgefühl, ohne das wir nicht auskommen.
Bei Helga fing es damit 2001 an, noch in ihrer schwäbischen Heimat. Eigentlich kam sie dazu wie die Jungfrau zum Kind: Die kleine Yamaha Virago 125 war in ihrer Familie soz