: Maximilian Rosar
: Die Schuld der Toten Kriminalroman
: Aufbau Verlag
: 9783841228215
: Kommissar Preusser
: 1
: CHF 7.90
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Kommissar Preusser und eine rätselhafte Entführung.

Fr nkfurt, 1968: Die Stadt wird von Studentenunruhen erschüttert. Ausgerechnet während seine Tochter sich den rebellierenden Studenten anschließen will, muss Kommissar Preusser einen komplizierten Mordfall lösen. Der Textilkaufmann Gustav Roth wurde entführt und ein Mitarbeiter getötet. Eine Lösegeldübergabe scheitert. Wenig später wird auch Roths Leiche gefunden. War die Entführung nur vorgetäuscht? Preusser findet Hinweise, dass der Ermordete Kontakte in die DDR hatte und ins Visier von Geheimdiensten geraten war ...

Ein Kriminalfall vor dem Hintergrund des Kalten Krieges.



Maximilian Rosar ist Professor für Betriebswirtschaft und lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Trier. Unter dem Pseudonym Paul Walz hat er bereits vier Kriminalromane und mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht.

Im Aufbau Taschenbuch ist bisher der erste Roman um Kommissar Preusser erschienen: 'Die Stille der Toten'.

EINS


Montag, 1. April 1968

Joachim Preusser, Hauptkommissar bei der Frankfurter Kripo, blickte rauchend aus dem Fenster seines Büros. Draußen vor dem Präsidium begann ein Tag, der sonnig, vielleicht sogar warm werden würde. In vierzehn Tagen war Ostern, doch noch schlugen die Menschen den Kragen hoch und duckten sich vor dem kalten Wind. Aus den Auspuffrohren der Autos wirbelten weiße, nach Benzin stinkende Abgaswolken in den Himmel über Frankfurt.

Die Tür schwang auf, und Kriminalmeister Holger Binz steckte den Kopf in Preussers Büro.

»Störe ich?«

»Bitte keine rhetorischen Fragen.« Preusser legte die Zeitung zusammen. Die neuesten Meldungen aus Fernost machten Hoffnung.US‑Präsident Johnson befahl die Teileinstellung der Bombardements in Vietnam und stellte Friedensverhandlungen in Aussicht.

Dafür geht es bei uns hier drunter und drüber, ging es Preusser durch den Kopf.DieAPOund ihr Wortführer Dutschke, die Kommunarden, Meinhof und wie sie alle hießen werden schon dafür sorgen, da gehe ich jede Wette ein. Von der Berliner Szene ganz zu schweigen, diese Schmuddeltypen vomSDS. Den ganzen Tag vögeln, kiffen und Randale machen.

»Was liegt an, Binz?«

»Der Bericht der Rechtsmedizin über Hans-Georg Guntermann ist eingegangen.« Binz nahm Platz.

»Und? Was schreibt unser guter Dr. Thömmes?«

Der junge Kollege überflog den Text. Heute trug er einen dunklen Anzug, in dem er mit seinen rosigen Wangen und den kurz geschnittenen blonden Haaren wie ein Konfirmand wirkte.

»Außer den Würgemalen, verursacht durch das Hanfseil, waren am Körper des Toten keine Verletzungen oder Auffälligkeiten zu entdecken, die auf eine andere Todesart als Suizid schließen lassen.«

Preusser nickte und drückte seine Zigarette aus. Die Ehefrau hatte den Toten auf dem Trockenspeicher des Mietshauses gefunden, wo er sich an einem Balken erhängt hatte, eine der klassischen Methoden des Selbstmords.

»Das passt zu den anderen Fahndungsergebnissen«, meinte er. »Guntermann war den Aussagen seiner Frau zufolge in letzter Zeit oft schwermütig und hätte sich eher in Behandlung begeben müssen. Gehen wir also von einer Selbsttötung aus.« Er sah Binz an. »Wenn diese armen Teufel wüssten, was sie ihren Familien antun. Stell dir vor, du kommst nach Hause, und deine Angetraute hängt an einem Balken, die Zunge bis auf den Fußboden, oder du musst die Teile identifizieren, die übrig sind, wenn der Zug durch ist.«

»Keine angenehme Vorstellung«, sagte Binz.

»Nicht wahr? Gut, schreib bitte den Abschlussbericht und leg den Fall zu den Akten.«

Die Tür wurde schwungvoll geöffnet. Kommissar Eugen Gesshoff trat ein. »Wir haben einen Einsatz. Scheint ’ne größere Sache zu sein.« Er schnaufte. »Der Sohn des Unternehmers Gottlieb Roth hat den Notruf gewählt. Angeblich ist seine Mutter schwer verletzt, und ein Mann ist tot. Eindringlinge hätten sich den Vater geschnappt und wären mit ihm auf und davon.«

»Eine Entführung?«

»Hört sich ganz so an.«

»Wann und wo?«

»Der Anruf ging um acht Uhr dreiundzwanzig ein. Tatort ist die Villa der Roths am Lerchesberg.«

»Wer ist vor Ort?«

»Die Streife.«

»In Ordnung. Sag Bär, er soll mit seiner Kamera und den Technikern zum Tatort fahren.«

»Was ist mit Dr. Thömmes?«

»Der auch. Haben wir Informationen über die Familie?«

»Corinna Roth, die Frau des entführten Gottlieb Roth, ist eine geborene Sterckmann.«

»Sterckmann-Textilien?«

Gesshoff nickte. »Frankfurter High Society. Wird ordentlich Wirbel machen.«

Preusser erhob sich. »Wir müssen eine Nachrichtensperre verhängen, solange wir nicht wissen, was mit dem Verschwundenen ist. Ich informiere den Kriminalrat. Abfahrt in zehn Minuten.«

***

Kriminalrat Deckers stand hinter seinem Schreibtisch und polierte hektisch seine Brille, was stets ein sicheres Zeichen dafür war, dass er fieberhaft nachdachte.

»Entführt, sagen Sie?«, fragte er Preusser.

Der Hauptkommissar nickte.

»Gibt es Forderungen?«

»Bisher nicht.«

»Gottlieb Roth«, murmelte Deckers. »Textilunternehmer. Ehemaliger Landtagsabgeordneter, parteipolitisch bestens vernetzt. Ich habe ihn des Öfteren mit verschiedenen Ministern beim Mittagessen in den besten Restaurants der Stadt gesehen. Mit dem Bürgermeister übrigens auch. Da wird tüchtig gemauschelt, jede Wette.« Er ließ den Blick durchs Zimmer und über die schäbigen Möbel hinweg schweifen, die offenbar noch aus der Zeit unmittelbar nach der Währungsreform stammten. »Sie können sich denken, was das für diesen Fall bedeutet.«

»Dass die Sache Wogen schlägt, wenn sie publik wird«, sagte Preusser.

»Und ob.« Deckers sah ihn an und atmete hörbar aus. »Sehr hohe Wogen. Eine Flutwelle. Aber Ihnen ist das ja wie immer gleichgültig, Herr Hauptkommissar, stimmt’s?«

»Solange wir den Fall aufklären, ja.« Preusser zuckte mit den Schultern. »Deshalb werden wir die Spuren sichern und als Erstes den Sohn der Familie befragen.«

»Tun Sie das. Bericht an mich. Ich werde den Polizeipräsidenten auf dem Laufenden halten.«

»Geht klar.« Preusser war schon fast an der Tür, als Deckers ihm hinterherrief: »Bevor ich es vergesse, Ihnen wird ab heute eine Kriminalassistentin zugeteilt. Sie heißt Ute Wächter.«

Preusser drehte sich um. »Assistentin? Habe ich das richtig verstanden?«

»Goldrichtig.« Ein Lächeln erschien auf Deckers’ hagerem Gesicht. »Frau Wächter ist eine der ersten Beamtinnen, die von derWKP, der weiblichen Kriminalpolizei, in den normalen Kriminaldienst wechselt. Zurzeit durchläuft sie sämtliche Abteilungen, um den ganzen Laden kennenzulernen.«

»Frauen bei der regulären Kripo?« Preusser schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet in meinem Kommissariat?«

»Ja. Die Arbeit bei der Schutzpolizei ist für Frauen nicht erlaubt, wie Sie wissen, bei der Kripo schon. Sie verlangen doch immer nach Verstärkung, Preusser. Jetzt bekommen Sie, was Sie wollen.«

»Meine Freude kennt keine Grenzen.«

Diesmal war es Deckers, der die Schultern hob. »Sie machen das schon, Herr Hauptkommissar.«

»Und wie lange soll die Frau in meiner Abteilung bleiben?«

»Bis auf Weiteres.«

»Dann schauen wir uns die Dame mal an«, meinte Preusser.

***

Preusser fuhr mit seinen engsten Mitarbeitern, Kommissar Gesshoff und Kriminalmeister Binz, zum Tatort. Sie durchquerten Sachsenhausen und fuhren hinauf zum Lerchesberg. Dichter Dunst vom Regen der letzten Nacht hing noch in der Luft.

»Eine Frau im Kommissariat, sagst du?« Eugen Gesshoff saß auf der Rückbank des Opel Rekord und strich sich durch die schütteren Haare, die von grauen Strähnen durchzogen waren. »Das hat Deckers garantiert nur getan, um dir eins auszuwischen. Ich höre schon, wie die anderen Kommissare sich beim Skat in der Mittagspause das Maul zerreißen.«

»Das ist mir egal. Ich weiß nur nicht, was ich mit einer Assistentin anfangen soll.« Er sah Gesshoffs feixendes Gesicht im Innenspiegel. »Was grinst du so dämlich? Im Dienst natürlich.«

»Wie sieht sie denn aus?«

»Keine Ahnung«, murmelte Preusser. Er schaute hinaus und beobachtete die Passanten. Es war merkwürdig, doch wenn sie auf dem Weg zu einem Tatort waren, nahm er alles um sich her überdeutlich wahr, als würde sein Verstand sich ganz von allein schärfen und sich im Voraus auf die Beobachtungen am Ort des Geschehens einstellen. Eine Frau mit Kinderwagen und Bienenkorbfrisur. Ihr Mantel war zu kurz, so dass Preusser den Saum ihres Kleides sehen konnte. Ein Kriegsversehrter, der mit Krücken über den Bürgersteig humpelte. Irgendjemand hatte ihm das überflüssige Hosenbein ordentlich aufgefaltet und mit einer Sicherheitsnadel am Bund befestigt. Zwei Hippie-Typen standen an einer Ecke und rauchten. Ein Geschäftsmann in Nadelstreifenanzug stieg aus einem Mercedes-Faltdach-Cabrio und ging eiligen Schrittes über den Bürgersteig, eine Aktentasche unter dem Arm.

»Eine echte Bonzengegend.«...