: Martin Walser, Jakob Augstein
: Das Leben wortwörtlich Ein Gespräch
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644000490
: 1
: CHF 10.00
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Martin Walser ist Schriftsteller. Jakob Augstein ist Journalist. Und sie sind Vater und Sohn. In diesem Buch sprechen sie über das Leben von Martin Walser, über dessen Jugend in Wasserburg am Bodensee, über den Vater, der Hölderlin gelesen hat, und die Mutter, die das Gasthaus geführt hat. Sie sprechen über den Krieg, über das Schreiben, über Geld und das Spielcasino in Bad Wiessee, über Uwe Johnson und Willy Brandt. Sex sei kein Sujet, sagt Walser, und so sprechen sie stattdessen über das Lieben. Und dann über das Beten. Jakob Augstein fragt Walser nach der umstrittenen Rede in der Paulskirche und der öffentlichen Fehde mit Marcel Reich-Ranicki. Und natürlich spielen Auschwitz und die deutsche Vergangenheit eine Rolle, ohne die das Leben und die Romane von Walser nicht zu denken sind. Und sie sprechen auch über sich. «Das Leben wortwörtlich» ist ein gemeinsamer Blick auf eine deutsche Lebensgeschichte, bewegend und voller überraschender Einsichten.

Martin Walser, 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren, war einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis, 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2015 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Mérite» ausgezeichnet und zum «Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres» ernannt. Martin Walser starb am 26. Juli 2023 in Überlingen. 

1.Im Roman ist die Lüge wunderbar


Über dieses Buch

Lieber Martin, wir machen ein Buch zusammen. Ein Abenteuer. Was für ein Buch wird es denn werden?

Jedes Buch ist ein Abenteuer. Dieses hier stelle ich mir wie ein Gespräch vor, das wir in einem kleinen Saal miteinander führen. Da sitzen vielleicht hundert Leute und hören uns zu. In so einem Saal, das erlebe ich ja andauernd bei meinen Lesungen, da bin ich jeweils imstande, so zu reagieren, dass die Leute das Gefühl haben, sie erfahren etwas, was sie sonst nicht erfahren. Sie können lachen, sie werden unterhalten. Darauf kommt es an. Dann bin ich lebendig. Wir ertasten, worüber wir sprechen können. Aber, Jakob, wir werden uns natürlich immer an der Grenze zur Indiskretion bewegen.

Ist das ein Problem?

Es wird Stellen der Verletzlichkeit geben, die jeder Rezensent benutzen kann, wie er will. Wenn wir unser Gespräch ganz offen führen, werden wir auch ganz offen sein, ganz ungeschützt. Ich habe das erlebt, als der letzte Band der Tagebücher erschien. Jeder Depp kann sich auf uns stürzen. Niemand muss sachlich bleiben. Je nachdem, ob uns einer mag oder nicht, wird er so oder so mit uns verfahren. Das trifft natürlich mehr mich als dich.

Du bist nach all den Jahren noch so verletzlich?

Was hat das mit den Jahren zu tun? Glaubst du, es wird mit den Jahren erträglicher, verletzt zu werden? Da muss ich dich leider enttäuschen. Ich war in meinem ganzen Leben gegen nichts so empfindlich wie gegen Machtausübung. Kritik ist Machtausübung, und Macht bedeutet Verletzung. Ein anderer sagt dir: Du darfst nicht sein, wie du bist.

Glaubst du denn, dass die Journalisten und die Kritik darauf warten, dir zu schaden?

Ich habe eine Notiz in meinen Tagebüchern, die lautet: «Ich leide an Verfolgungswahn, und das ist das Einzige, was mich von meinen Verfolgern unterscheidet.»

Was meinst du, warum werden die Leute dieses Buch lesen wollen?

Wollen? Das ist eine märchenhafte Formulierung. Ich glaube nicht, dass sie es lesen wollen. Sagen wir lieber, das Buch wird erscheinen, und es wird Leute geben, die sich dafür interessieren. Wir sind da ganz und gar abhängig von den Gerüchten und Tatsächlichkeiten des sogenannten Literaturbetriebs.

Was wird die Leute an diesem Buch interessieren?

Also, wenn ich jetzt darauf antwortete, wäre meine Antwort eine reine Höflichkeitsphrase, als hielte ich deine Frage für sinnvoll.

Du hältst sie für unsinnig.

Wenn ich einen Roman schreibe, dann denke ich nicht daran, ob die Leute ihn lesen und warum. Also, wenn ich einen Roman schreibe, habe ich eine Ahnung, und ich versuche, schreibend dieser Ahnung nachzukommen. Dann erfahre ich, das ist immer überraschend, ob positiv oder negativ, wie viele Einstellungen und Erlebnisarten und Stimmungen es geben kann für die Aufnahme eines Buches. Beim Schreiben aber denke ich darüber nicht nach. Es gibt vielleicht einen unter tausend Augenblicken, in dem ich sagen kann: Ich habe bei einem Satz daran gedacht, wie der wohl gelesen werden wird. Und dann bin ich gleich wieder darüber hinweg. Ich sage dir mal ein Beispiel. Im «Springenden Brunnen» lautet der erste Satz: «Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird.» Als ich diesen Satz hingeschrieben habe, das weiß ich noch genau, da habe ich mir so halbpolemisch gedacht: «Ach, wenn Frau Sowieso aus Markdorf diesen Satz lesen wird, dann schlägt sie das Buch zu.» Aber wenn ich sehe, wie sich das Buch verkauft hat, muss ich feststellen: Ich habe Frau Sowieso aus Markdorf