Wenn er, 74, sie, 19, heiraten würde, wäre sie, 19, die Stiefmutter seines Sohns August, 34, und seiner Schwiegertochter Ottilie, 27. Mit solchen Rechnungen fand er sich beschäftigt, als er vor dem Frühstückstisch saß, für den Stadelmann jeden Morgen alles, was man sich wünschen darf, aus dem Traiteur-Haus holte.
Stadelmann, den er schon im vergangenen und vorvergangenen Jahr zu einem Stein-Kenner ausgebildet hatte, schickte er heute auf den Wolfsberg, um Augite herauszuklopfen. Auch ein Feldspat-Zwillingskristall wäre hochwillkommen, gab er ihm noch mit. Dem Schreiber John sagte er, dass heute erst um elf diktiert werde. Es hatte sich nämlich Dr. Rehbein angesagt, sein Dr. Rehbein, Hof-Medikus in Weimar, aber auch Arzt Goethes. Und hatte viele Stunden an Christianes Sterbebett verbracht! Noch nicht ein Jahr her, dass Dr. Rehbein die dritte Frau gestorben war. Dr. Rehbein war vielleicht der beliebteste Mann in Weimar.
Als Goethe in dem Zimmer, in dem er Gäste empfing, erschien, kam ihm Dr. Rehbein, der dort gewartet hatte, stürmisch entgegen. Gerade dass er Goethe noch Gelegenheit gab zu rühmen, wie gesund er sich hier fühle, von den Atemwegsmiseren des vergangenen Winters ganz und gar befreit, da sprudelte er los. Er will sich verloben. Er muss. Wenn er sich nicht sofort verlobe, verliere er Catharina, ja, die dreißig Jahre jüngere Catty von Gravenegg. Da er ohnehin dem Herzog habe vorausreisen müssen, bleibe nichts anderes übrig, als die Verlobung hier in Marienbad zu feiern. Das aber ohne Teilnahme des Herrn Geheimrat zu denken sei ihm nicht möglich. Für die unschöne Eile entschuldige er sich. Aber Catty. Sie verstehen. Er kann doch nicht hier der Durchlaucht den Badearzt spielen, was übrigens nicht erlaubt ist, die hiesigen Badeärzte haben das Monopol, gut, ist er eben ein Badegast im Gefolge Seiner Durchlaucht und so weiter, aber hier wochenlang spazierenschauen, und Catty braust durch München, das ist ungesund, also kommt sie, also gibt’s eine Verlobung. Gestehen müsse er aber doch noch, wie es ihn geschmerzt habe, jetzt im Mann von fünfzig Jahren zu lesen, der Chirurg sei der verehrungswürdigste Mann auf dem ganzen Erdboden.
Goethe ergänzte: Er befreit dich von einem wirklichen Übel. Dann umarmte er Dr. Rehbein sanft und sagte ihm fast ins Ohr, die Chirurgen-Rühmung sei doch nötig für die Handlung des Wanderjahre-Romans, zu dessen Bestand Der Mann von fünfzig Jahren gehöre. Und dieser Roman sei, obwohl vor zwei Jahren erschienen, alles andere als fertig. Täglich werde er von Sätzen und Figuren bedrängt, die dazugehören wollen. Und Wilhelm, der Held der Wanderjahre, soll doch, wenn er alle Angebote der Welt studiert und erprobt habe, Wundarzt werden, also Chirurg. Und warum? Weil der Autor seinem ein Leben lang beschriebenen Wilhelm den Beruf auf den Leib und in die Seele schreiben wolle, durch den er den Menschen am meisten helfen könne. Nützen, Herr Doktor. Vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen. Da wollen wir doch alle hin, Herr Doktor. Und hatte ihm gleich noch glaubhaft sagen können, dafür sei er, Dr. Rehbein, selber ein Beispiel. Wer, wie er, ein Arzt, mit fünfzig so wohl, so wirklich schö