Kapitel 2
Cida sagte niemandem, was sie vorhatte.
Als sie in der Nacht aus dem Haus schlich, schien nicht einmal der Mond am Himmel. Yaris erwartete sie schon. In Windeseile sattelte sie ihre Schimmelstute Luana. Ihre Eltern hatten sie ihr zu ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt, und Cida hatte sie Luana nach dem Mond genannt, weil sie ihn jede Nacht, wenn sie nicht einschlafen konnte, am Himmel betrachtete.
Als sie den Hof verließen, erklang ein leises Zischen.
Cida fuhr zusammen. Da stand Großvater Tayo auf einer der Pferdekoppeln, auf einen Stock gestützt, als hätte er schon längst gewusst, dass sie sich davonschleichen wollten. »Habt ihr den Verstand verloren?«, fragte er auf Yoruba.
»Wir sind bald zurück, Großvater«, antwortete Cida leise. Wenn sie schnell ritten, konnten sie in weniger als einem Tag wieder auf dem elterlichen Gestüt sein. Das Land war nicht mehr so unwegsam wie noch vor zwanzig Jahren. Überall schossen Siedlungen aus dem Boden, die Urwälder wichen Feldern und Weideflächen, und die Straßen, die hinunter nach Monte Mor führten, waren größtenteils gut passierbar. Vor allem jetzt in der Trockenzeit.
Sie blickte Tayo flehentlich an. Ihre Eltern hätten viel zu viel Angst um sie, um zu verstehen, wie wichtig ihr dieser kurze Blick in die Vergangenheit war, aber Großvater musste sie einfach verstehen! Wenigstens ein Mal musste sie diesem Menschen in die Augen sehen.
Großvater schüttelte den Kopf. »Du kannst die Vergangenheit nicht ändern, Kind.«
»Das will ich doch auch gar nicht«, flüsterte sie. »Ich will einfach nur verstehen, warum ...«
»Warum du bist, wer du bist? Warum du hier bist? Wohin du gehörst? Sieh hinter dich.« Cida folgte seinem Blick zu ihrem im Dunkeln liegenden Elternhaus. Es war ein zweistöckiges Holzhaus, von Palmen flankiert, dahinter die Ställe, das weite, grüne Land und die in der Dunkelheit auf den Koppeln stehenden Pferde.
»Deine Eltern sind dort, in diesem Haus, und was immer sie glauben werden, wo du bist – wenn sie auch nur ahnen, wo du wirklich hingehst, werden sie umkommen vor Sorge«, sagte Tayo. »Das hier ist dein Zuhause. Es ist aus viel Leid geboren, und auch du trägst es in dir. Es ist dein Erbe. Aber du kannst die Toten nicht wieder lebendig machen und die Uhren nicht zurückdrehen.«
»Ich muss es wissen«, beharrte sie.
Tayo nickte bedächtig. »Ja, vielleicht musst du das. Wirf einen Blick auf die Vergangenheit. Und dann versuch, sie endlich loszulassen.«
Cida nickte mit einem Kloß im Hals.
Seit dem Moment, in dem ihre Eltern ihr die Wahrheit gesagt hatten, waren auch die letzten ihrer kindlichen Illusionen gefallen. Sie wusste, wie glücklich sie hier lebte, wie frei und wie behütet vor den Reichen, den Mächtigen, den Adligen. Denen, die sich die Welt unter den Nagel gerisse