: Cecelia Ahern
: Funken in der Dunkelheit Erzählungen
: Piper Verlag
: 9783492604451
: 1
: CHF 3.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Drei Geschichten der Bestsellerautorin voller Hoffnung und Wunder Mit der Kurzgeschichtensammlung »Solange du mich siehst« und der Erzählung »Der Ghostwriter« zeigte Cecelia Ahern bereits 2012 und 2015, dass sie ungewöhnliche Geschichten erzählen kann. Immer wieder beschert die Autorin in diesen Geschichten Gänsehautmomente: Verhangene Spiegel und Maschinen, die Erinnerungen verändern können, verbergen Dunkles; ein Schriftsteller bekommt unverhofft Hilfe, muss dafür jedoch einen hohen Preis zahlen. Jede dieser Kurzgeschichten birgt ein mystisches Element, und trotz aller unheimlichen Momente schafft es die Bestsellerautorin, hoffnungsvoll zu erzählen. »Gänsehautmomente inklusive!« NDR »Voller Magie und Charme.« Glamour  »Außergewöhnlich und berührend.« Daily Express

Cecelia Ahern erzählt Geschichten über Menschen, die gerade durch eine Phase der Veränderung gehen. Sie selbst beschreibt ihre Bücher mit den Worten: »Ich fange meine Figuren dort auf, wo sie gefallen sind, und begleite sie von ganz unten wieder zurück. Ich mische gern Dunkelheit und Licht, Trauer und Humor.« Cecelia Ahern ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt. Sie schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konzepte und Theaterstücke. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt. Cecelia Ahern hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrer Familie in Dublin.

I


Sein Name war Herman Banks.

Von einer reichen alten Tante namens Barbarella Weissman, die er dem Namen nach kannte, aber nie gesehen hatte, erbte Herman sechstausend Dollar. Seine sechs Geschwister sowie vierzehn Cousins und Cousinen bekamen das Gleiche. Die kannte Herman natürlich allesamt persönlich, aber auch keiner von ihnen war der lieben Ella, die auf diese Weise heimlich und leise die Zukunft ihrer Nachfahren beeinflusste, jemals begegnet. Hermans Bruder Hank – er nannte sich tatsächlich Hank Banks, obwohl er eigentlich Henry hieß – kaufte sich, kaum dass er achtzehn geworden war, von dem ganzen Geld, abzüglich der Ansprüche, die ihr Vater darauf erhob, einen alten Chevy. Bei dem Deal ließ er sich aber dermaßen über den Tisch ziehen, dass nicht nur sein Erbe, sondern auch sein Erspartes und sein Arbeitslohn dafür draufgingen, das Ding überhaupt nur straßentauglich zu machen.

Herman war anders. Er war drei Jahre jünger als Hank und infolgedessen auch drei Jahre weiter davon entfernt, seine Flucht aus dem Farmhaus in Missouri in Angriff nehmen zu können. Im Sommer half er bei der Maisernte, im Winter schleppte er Heu, und dazwischen bemühte er sich, seine Pflichten möglichst schnell zu erledigen, um Zeit für die Schule zu haben. Der Schulbesuch hatte in seiner Familie keinen hohen Stellenwert, aber Herman sehnte sich regelrecht danach – nicht so sehr wegen des Unterrichts, sondern vielmehr wegen der langen Busfahrt durch die Maisfelder, die er sogar im Schlaf vor sich sah und nun endlich hinter sich lassen durfte. Schule bedeutete, dass er ausbrechen konnte; das Lernen war eher ein Nebeneffekt. Während Hank jeden Abend mit einem anderen Mädchen in seiner alten Schrottkarre durch die Gegend gondelte, hatte Herman Zeit, zu beobachten, zu überlegen, zu planen.

Als auch Herman mit achtzehn endlich sein Erbe in die Finger bekam, kaufte er damit – nach den entsprechenden familiären Abzügen – einen Verkaufsstand für frisch gepressten Orangensaft, eine Sandwich-Bude und zum blanken Entsetzen seines Vaters ein Grundstück, auf dem er Sojabohnen anpflanzte. Dann investierte er in eine zukunftsträchtige Computertechnologie, und ein gutes Dutzend weiterer kluger Entscheidungen führte dazu, dass er im Lauf der Jahre ein Vermögen anhäufte. Unter dem NamenHerman Banks Organization machte seine Dachgesellschaft mit ihren weltweit operierenden Unternehmen im Bereich Immobilien, Einzelhandel, Gewerbe, Hotellerie und Golf noch auf dem Tiefpunkt der weltweiten Rezession Profit, sodass Herman inzwischen über ein Privatvermögen von zwei Milliarden Dollar verfügte. Nach wie vor faszinierte es ihn, wie das simple Bedürfnis, der Enge seiner Herkunft zu entfliehen, einen Menschen dazu bringen konnte, ein Potenzial freizusetzen, das niemand in ihm vermutet hätte.

Herman war ein guter Mann, der seine Mitmenschen ehrlich und fair behandelte. Er war der Jüngste von sieben Geschwistern und überzeugt, dass er seinen geschäftlichen Erfolg in erster Linie diesem Umstand verdankte: Dadurch, dass er so viel beobachtet und außerdem gelernt hatte, mit fünf großen Schwestern zu überleben, hatte er ein nahezu untrügliches Gespür dafür entwickelt, wie er mit fast jedem Menschen fast überall auf der Welt Geschäfte machen konnte, die ihm fast immer Gewinn einbrachten. Inzwischen war er vierundfünfzig, eine Legende der Geschäftswelt, besaß eine Wohnung an der New Yorker Upper East Side, eine Karibikinsel und mehrere Häuser in fünf verschiedenen Ländern, galt als Finanz- und Medienmogul, wurde als potenzieller Präsidentschaftskandidat gehandelt, befand sich kurz gesagt auf der Höhe seiner Karriere – und trotzdem plagte ihn etwas.

Es waren nicht die noch ausstehenden Geschäfte, nicht die unsichere Marktlage, es lag auch nicht daran, dass er vor Kurzem – schweren Herzens – den Kontakt zu seinem Bruder abgebrochen hatte, der immer auf die falschen Pferde gesetzt hatte und jetzt wahrscheinlich ziellos durch die Straßen von New York irrte, bereit, jedem x-Beliebigen seine Seele für den nächsten Heroinschuss zu verkaufen.

Natürlich machte Herman sich Sorgen um seinen Bruder, aber das war es nicht, was ihm am meisten zusetzte. Nicht einmal die Sache mit seiner Frau, die ihm soeben offenbart hatte, dass sie eine Affäre gehabt hatte, eine viermonatige Affäre mit ihrem Personal Trainer, einem widerwärtigen langhaarigen Schönling, der jeden Morgen schweißtriefend in Hermans Wohnung ein- und dann wieder davongeschwebt war, mit einem Ausdruck im Gesicht, den Herman nicht einordnen, aber auch nicht leiden konnte. Herman wollte den Namen des Kerls nicht wissen, wollte im Grunde nicht einmal seine Existenz zur Kenntnis nehmen, und es graute ihm bei dem Gedanken, was er tun würde, wenn er ihn je noch einmal zu Gesicht bekam. Er kam sich nicht gern dumm vor, aber momentan fühlte er sich wie der letzte Idiot. Vielleicht war er das ja auch. Er liebte seine Frau sehr, und das Geständnis, dass sie ihm untreu gewesen war, hatte ihn getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie halb so alt wie Herman, er wusste, dass man ihre Beziehung als Geschichte aus dem Lehrbuch ansehen konnte – dass es für einen Mann seines Alters vorhersehbar gewesen war, sich in sie zu verlieben. Vielleicht hatten die Lehrbücher ja recht, vielleicht machte er tatsächlich eine Art Midlife-Crisis durch. Vielleicht lebte er in einer anderen Realität als die meisten anderen Menschen, aber er liebte seine Frau ehrlich, und jedes Wort, das er bei ihrer Hochzeit vor zwei Jahren in der Kirche gesagt hatte, war ernst gemeint. Er spürte, dass es auch bei ihr so war, und in den tränenreichen, hasserfüllten Auseinandersetzungen, mit denen sie sich regelmäßig die Nächte um die Ohren schlugen, seit er von ihrer Untreue erfahren hatte, beteuerte sie immer wieder, dass sie ihn liebte, aber dass seine ständige Abwesenheit, sein besessenes Arbeiten, seine Sucht, Geld zu machen – so drückte sie es aus –, dazu geführt hatten, dass sie sich »isoliert«, »verletzlich« und »ungeliebt« fühlte. Er nahm sie angeblich nicht wahr, er hörte ihr nicht zu, er wurde von seiner Arbeit aufgefressen. Neben »Es tut mir so leid« war diese Erklärung ihr Mantra geworden.

Aber es war nicht dieses jüngste persönliche Desaster, das ihm schlaflose Nächte bereitete, ihn bei der Arbeit ablenkte und ihn in manchen Meetings desinteressiert erscheinen ließ. Nein, es war die tiefe Leidenschaft, die in ihm loderte, seit er als Jugendlicher in die Scheune geflohen war und sich im Heu versteckt hatte, um einen Moment Ruhe vor der verhassten körperlichen Schufterei zu haben und in die Welt von Hemingway oder Joyce, Dickens oder Steinbeck zu entfliehen. Schon seit jeher waren Bücher seine Rettung gewesen, und das war bis heute so geblieben.

Angefangen hatte diese Liebe damit, dass ein Tramper, den sein Vater auf dem Rückweg von der Stadt mitgenommen hatte, den Sommer über bei ihnen geblieben war und auf dem Feld ausgeholfen hatte. Der junge Mann war, soweit Herman sich erinnern konnte, ziemlich haarig gewesen, mit einem langen Zopf und einem Bart, der gleich unter den Augen anfing und den Rest seines Gesichts fast völlig überwucherte. Als Hermans Vater ihn nach seinem Namen fragte, hatte er kurz nachgedacht und dann geantwortet: »Nennen Sie mich Gabriel.«

Gabriel war ein entspannter Typ, mit einer Stimme, die so sanft war, dass man die Ohren spitzen musste, um ihn zu verstehen, aber auf dem Feld arbeitete er härter als alle anderen, und seine durchdringenden blauen Augen brachten Hermans Mutter zum Erröten, wenn sie in der Küche um ihn herumgluckte. Auch Hermans Schwestern hatten ein Faible für ihn, allen voran Anna Bell, die bekanntermaßen ein Faible für fast alle Männer aus der Gegend hatte. Sozusagen als Beweis für ihre Reputation hatte Herman sie eines Abends in der Scheune mit Gabriel erwischt, sie mit den Beinen, er mit dem nackten Hinterteil hoch in der Luft.

Aber es war nicht dieser Vorfall, der Hermans Leben veränderte, sondern der Tag, an dem er Gabriel an einem seiner seltenen freien Tage entspannt mit einem Buch in der Hand an einen Apfelbaum gelehnt vorfand. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der so entrückt, so weit weg von dieser Welt war, dass es Herman den Atem verschlug. Gabriel hatte ihn nicht kommen hören – und falls doch, war das, was auf diesen Seiten stand, offenbar viel zu wichtig, um sich davon loszureißen, denn er rührte sich nicht, ja, ...