: Cecelia Ahern
: Ein Moment fürs Leben Roman
: Piper Verlag
: 9783492604208
: 1
: CHF 8.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 496
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was würde dein Leben über dich sagen? Mit kleinen Lügen mogelt sich Lucy durchs Leben: eine winzige Flunkerei hier, eine verdrehte Wahrheit dort. Doch irgendwann beschließt ihre Familie, dass Lucy ihr verlogenes Leben in der viel zu kleinen Wohnung mit dem zu großen Sofa, und dazu noch arbeitslos, nicht weiterführen kann. Deshalb wird eine »Lebensagentur« eingeschaltet, und Lucy trifft, ob sie will oder nicht, ihr Leben in Gestalt eines Mannes. Und der ist alles andere als attraktiv, aber dafür sehr, sehr anhänglich ...  »Liebenswert und witzig.« Buchjournal »Wunderbare und kluge Unterhaltungsliteratur. DER Roman für jeden, der sein Leben richtig leben will.« Alex Dengler, denglers-buchkritik »Hintersinnige Unterhaltung von Dublins Bestsellerautorin Cecelia Ahern, die mit ihrem humorvollen Roman auch Denkanstöße für das eigene Leben liefert.« Hör zu

Cecelia Ahern erzählt Geschichten über Menschen, die gerade durch eine Phase der Veränderung gehen. Sie selbst beschreibt ihre Bücher mit den Worten: »Ich fange meine Figuren dort auf, wo sie gefallen sind, und begleite sie von ganz unten wieder zurück. Ich mische gern Dunkelheit und Licht, Trauer und Humor.« Cecelia Ahern ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt. Sie schreibt zeitgenössische Romane, Novellen, Storys, Jugendbücher, TV-Konzepte und Theaterstücke. Ihre Romane wurden fürs Kino oder fürs Fernsehen verfilmt. Cecelia Ahern hat Journalistik und Medienkommunikation studiert und lebt mit ihrer Familie in Dublin.

Kapitel 1


Liebe Lucy Silchester,

ich möchte Sie am Montag, dem 30. Mai 2011,

zu einem Treffen bitten.

 

Den Rest las ich gar nicht mehr. Das war auch nicht nötig, denn ich wusste genau, wer mir diesen Brief geschickt hatte. Es war mir sofort klar, als ich von der Arbeit in mein Studio-apartment zurückkam und ihn auf halbem Weg zwischen Tür und Küche auf dem Boden liegen sah, auf dem angekokelten Stück Teppich – vor zwei Jahren war der Weihnachtsbaum umgekippt und hatte mit seinen Lichtern den Teppichflor versengt. Der Teppich war ein altes billiges Ding, das mein knauseriger Vermieter ausgesucht hatte. Er war aus schäbigem grauem Synthetikmaterial, das aussah, als wären schon mehr Füße darübergelaufen als über die angeblich Glück bringenden Hoden des Stiers auf dem Mosaik in der Mailänder Galleria Vittorio EmanueleII. In dem Bürogebäude, in dem ich arbeitete, lag ein ähnliches Material aus – aber dort passte es besser hin, denn dieser Teppich war nie zum Barfußlaufen gedacht, sondern für den stetigen Strom glänzender Lederschuhe, die sich vom Schreibtisch zum Kopierer bewegten, vom Kopierer zur Kaffeemaschine, von der Kaffeemaschine zum Notausgang und von dort ins Treppenhaus, denn paradoxerweise war hier der einzige Ort, wo der Feueralarm nicht ausgelöst wurde und man in Ruhe ein heimliches Zigarettenpäuschen machen konnte. Ich selbst war an der Suche nach diesem Rauchereck beteiligt gewesen – wenn der Feind uns wieder einmal aufspürte, machten wir uns stets unverzüglich auf die Suche nach einem neuen Versteck, und auch dieses hier war leicht an den Hunderten am Boden aufgehäufter Kippen zu erkennen. In panischer Hektik saugten die Raucher den Zigaretten das Leben aus und entledigten sich achtlos der äußeren Hülle, während die Seelen noch in ihren Lungen schwebten. Keinem anderen Ort des Bürogebäudes wurde so intensiv gehuldigt wie diesem – mehr als der Kaffeemaschine, mehr als den Ausgangstüren abends um sechs, mehr als dem Stuhl vor dem Schreibtisch von Edna Larson, unserer Chefin, die die guten Absichten ihrer Angestellten in sich aufsaugte wie ein kaputter Automat, der die Münzen schluckt und sich dann weigert, den Schokoriegel auszuspucken.

Der Brief lag also auf dem schmutzigen, angesengten Teppichboden. Ein cremefarbener Leinenumschlag, auf dem in gewichtigen George-Street-Lettern und eindeutiger schwarzer Tinte mein Name stand, neben einem goldenen Stempel in Form von drei sich berührenden Spiralen.

Die Dreifachspirale des Lebens. Ich kannte sie, denn ich hatte bereits zwei Briefe dieser Art erhalten und das Symbol gegoogelt. Aber ich hatte den Termin beide Male nicht wahrgenommen und auch nicht die angegebene Nummer angerufen, um ihn zu verlegen oder abzusagen. Ich hatte die Briefe einfach ignoriert, sie sozusagen unter den Teppich gekehrt – jedenfalls hätte ich das gern getan, aber dank der Weihnachtslichter war er ja leider hinüber – und vergessen. Nein, nicht wirklich vergessen. Dinge, die man getan hat, obwohl man sie nicht hätte tun sollen, vergisst man ja nie, sie bleiben einem im Kopf, lungern dort herum wie Einbrecher, die ein neues Ziel ausbaldowern. Man sieht sie gelegentlich, wie sie sich unauffällig irgendwo rumdrücken, aber sobald man sie anvisiert und zur Rede stellen will, sind sie blitzschnell hinter dem nächsten Briefkasten verschwunden. Oder es ist, als sieht man in der Menge ein bekanntes Gesicht auftauchen, das man gleich wieder aus den Augen verliert. Ein irritierendes Wimmelbild, für immer ins Gedächtnis eingeprägt und in jedem Gedanken versteckt, der durchs Gewissen zieht. Immer ist es da, die Erinnerung an das, was man nicht hätte tun sollen, sie lässt einen einfach nicht in Frieden.

Einen Monat nach dem zweiten von mir ignorierten Brief war dieser hier mit einem erneut verlegten Termin eingetrudelt, ohne den kleinsten Hinweis darauf, dass ich auf die ersten beiden Einladungen nicht reagiert hatte. Und genau wie früher bei meiner Mutter führte die Tatsache, dass meine Unzulänglichkeit höflich übergangen wurde, dazu, dass ich mich umso schlechter fühlte.

Ich hielt das schicke Papier zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe und legte den Kopf schief, um es zu lesen, weil es zur Seite klappte. Anscheinend hatte der Kater mal wieder daraufgepisst. Ironie des Schicksals. Ich machte ihm keinen Vorwurf, denn da ich mitten in der Stadt in einem Hochhaus wohnte, in dem Haustierhaltung verboten war, und außerdem einem Vollzeitjob nachging, hatte das arme Tier ja keine Gelegenheit, seine Notdurft draußen zu verrichten. In dem Versuch, mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, hatte ich überall in der Wohnung gerahmte Fotos von der Welt draußen aufgehängt: Wiesen, Meer, ein Briefkasten, Kieselsteine, Autos, ein Park, eine Auswahl anderer Katzen und ein paarmal Gene Kelly. Letzterer natürlich eher meinetwegen, aber ich hoffte, die anderen Bilder würden dazu führen, dass der Kater irgendwann gar nicht mehr den Wunsch verspürte, nach draußen zu gehen. Oder frische Luft zu atmen, Freunde zu finden, sich zu verlieben. Oder zu singen und zu tanzen.

Da ich fünf Tage die Woche morgens um acht die Wohnung verließ und oft erst abends um acht oder gar nicht zurückkam, hatte ich den Kater darauf dressiert, sich auf Papier zu »erleichtern«, wie die Katzentrainerin immer gesagt hatte, damit er sich allmählich daran gewöhnte, sein Katzenklo zu benutzen. Und dieser Brief, das einzige Papier, das noch auf dem Boden lag, hatte ihn sicher verwirrt. Ich beobachtete ihn, wie er sich verlegen in der Zimmerecke herumdrückte. Er wusste, dass er etwas Falsches getan hatte. In seinem Gedächtnis lauerte die Erinnerung an das, was er nicht hätte tun dürfen.

Ich hasse Katzen, aber diesen Kater mochte ich. Ich hatte ihn Mr Pan getauft, nach Peter Pan, dem allseits bekannten fliegenden Jungen. Mr Pan ist zwar weder ein Junge, der nicht älter wird, noch kann er fliegen, aber es besteht trotzdem eine seltsame Ähnlichkeit, und mir erschien der Name damals passend. Ich hatte Mr Pan eines Abends in einem Müllcontainer auf einem Hinterhof gefunden, laut schnurrend, als wäre er völlig verzweifelt. Oder war ich verzweifelt? Was ich auf dem Hinterhof zu suchen hatte, ist meine Privatangelegenheit und soll es auch bleiben. Jedenfalls regnete es in Strömen, und ich trug einen beigefarbenen Trenchcoat. Ich hatte gerade bei einer Überdosis Tequila einem perfekten Freund nachgetrauert und gab nun mein Bestes, wie eine ausFrühstück bei Tiffany wiedergeborene Audrey Hepburn diesem Tier nachzujagen und mit klarer, einzigartiger und völlig verzweifelter Stimme »Katze!« zu rufen.

Wie sich herausstellte, war das Kätzchen gerade mal einen Tag alt und als Zwitter geboren. Offensichtlich hatten seine Mutter oder sein Besitzer oder beide es ausgesetzt. Als ich dem Tier dann einen Namen gab, hatte ich das Gefühl, ganz allein entscheiden zu müssen, welchem Geschlecht es von nun an angehören würde, auch wenn der Tierarzt mir ausführlich erklärt hatte, dass es eine eher männliche Anatomie besaß. Aber ich dachte an mein gebrochenes Herz und daran, dass ich bei der letzten Beförderung übergangen worden war, weil meine Chefin meinte, ich wäre schwanger – dabei war nur gerade Weihnachten gewesen, und ich hatte mich wie jedes Jahr vollgestopft wie bei einem mittelalterlichen Bankett, den wilden Eber ausgenommen. Als mir dann noch einfiel, dass ich letzten Monat während meiner Tage furchtbare Bauchschmerzen gehabt hatte, eines Nachts in der U-Bahn von einem Penner angegrapscht worden war und mich meine männlichen Kollegen als Zicke bezeichnet hatten, nur weil ich deutlich meine professionelle Meinung vertreten hatte, kam ich zu dem Schluss, dass das Leben für die Katze als Kater vermutlich einfacher sein würde. Inzwischen glaube ich allerdings, dass es die falsche Entscheidung war, denn wenn ich das Tier aus Versehen Samantha oder Mary rufe, was gelegentlich vorkommt, schaut es mich mit einem Ausdruck an, den ich nur als Dankbarkeit bezeichnen kann. Meistens lässt es sich dann in einem meiner Schuhe nieder und starrt wehmütig auf den Pfennigabsatz, als symbolisiere er die Welt, die ihm geraubt worden ist. Aber ich schweife ab. Zurück zu dem Brief.

Diesmal würde ich den Termin wohl oder übel wahrnehmen müssen. Es gab keinen Weg daran vorbei. Ich...