Kapitel 1
Die Abendsonne glitzerte malerisch auf dem spiegelglatten See und färbte alles um mich herum in einen orangefarbenen Ton. Träge lehnte ich mich auf der Bank zurück und streckte meine Beine weit von mir. Ein langer, heißer Sommertag näherte sich seinem Ende, und ich hatte auf meiner abendlichen Hundegassirunde ein kleines Päuschen eingelegt. Von der Bank aus waren es drei Schritte zum See, und direkt auf der anderen Uferseite lag sehr idyllisch mein Campingplatz – umgeben von hohen Pappeln, der riesigen Birke und den akkurat geschnittenen Hainbuchenhecken.
Von hier aus sah das unglaublich malerisch aus. Die Bäume. Die weißen Wohnwägen mit ihren Vorzelten. Die Badebucht mit dem langen Steg und direkt daneben das alte Bootshaus meiner Nonna. Es war in den letzten Monaten komplett überholt worden, und meine flippigste Dauercamperin Evelyn hatte ein Café daraus gemacht. Die nagelneue Terrasse war zu dieser Stunde verwaist, genau wie der Badestrand. Ich stellte mir vor, wie es gerade in meinem Klohäuschen zuging. Das Geschrei kleiner Kinder, die keine Lust hatten, sich den Sand aus den Ohren waschen zu lassen, die nicht geföhnt werden wollten und vor allen Dingen eins hatten: ganz viel Hunger. Ich seufzte zufrieden. Wenn keine Schulferien waren, kamen nur Eltern mit ganz kleinen Kindern. Das war zwar besonders abends sehr laut, aber auch ungemein süß, wenn die Zwerge mit den lustigen Bademäntelchen – die Kapuzen halb über die Köpfe gezogen – über den Platz getragen wurden. Entweder sie schliefen schon halb oder brüllten so laut, dass die Gesichter karmesinrot leuchteten.
Aber hier hörte man nichts davon. Vor mir lag Clärchen, meine Maremanno-Hündin. Auf dem Rücken liegend, den Kopf so verdreht, als wäre sie soeben verstorben, wartete sie darauf, dass sich endlich jemand erbarmte und ihr den Bauch streichelte. Selbst dafür war ich zu faul. Es war so wunderschön, hier zu sitzen, nachdem die Hitze des Tages einer perfekten Temperatur gewichen war.
Wie still und friedlich. Nicht einmal der Gröning, der bei jeder Wetterlage bereit war, sich in die Fluten zu stürzen, stand im Wasser.
»Was ist denn dort drüben?«, fragte ich Clärchen, und hinter mir sagte die Stimme vom Gröning: »Ich seh nix.«
Ich quietschte ein bisschen und atmete zur Beruhigung einmal tief durch. Offenbar kam der Gröning von seinem abendlichen Spaziergang zurück.
»Unser Ruderboot«, beantwortete ich meine rhetorische Frage selbst.
Der Hetzenegger hatte die Ruder geholt und half gerade seiner Frau Vroni ins Boot. Ob das gut ging? Ich hatte nicht mitbekommen, dass die beiden jemals einen Ausflug mit Nonnas altem Ruderboot gemacht hatten. Sie saßen am liebsten bei Kaffee und Kuchen vor ihrem Wohnwagen. Und seit Evelyn das Café eröffnet hatte, nun meistens im Bootshaus. Nur wenn ihre Enkelkinder vorbeikamen, gingen sie auch ein Stückchen den Seeweg entlang.
»Die rudern zu uns«, erläuterte ich, weil ich schon ahnte, dass der Gröning wieder mal nix sah.
»Ich seh nix«, bestätigte der Gröning meine Einschätzung und schaute ziemlich schlecht gelaunt durch sein Fernglas. »Heute ist alles so trübe.«
Die Luft war klar und rein, und man konnte fantastisch sehen. Zum Beispiel, wie das Ruderboot schwankte, als sich die Vroni hinsetzte. Sie krallte sich an die Reling und wirkte, als würde sie am liebsten wieder aussteigen.