Die neunjährige Sabrina Keller war ein niedliches Mädchen. Ihre blonden Haare trug sie zu Zöpfen geflochten, die lustig um ihr frisches Gesicht hüpften, in dem die blauen Augen wie zwei Sterne strahlten. Die schelmischen Grübchen in den Mundwinkeln vermittelten den Eindruck, als würde sie ständig lachen, und die Stupsnase zeigte vorwitzig in den Himmel. Mit ihrem liebenswerten Wesen eroberte die kleine Dame jedes Herz im Sturm.
Aber Sabrinas glückliches Wesen kam nicht von ungefähr. Geborgen in der Liebe ihrer Eltern wuchs sie zusammen mit ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Michi heran. Auch wenn sie sich mit dem »Baby«, wie sie Michi gerne bezeichnete, öfter in den Haaren lag, so hing sie doch mit inniger Zuneigung an ihm.
Ungestüm wirbelte Sabrina in die geräumige Wohnküche der alten Villa, wo ihre Mutter und ihre Großmutter damit beschäftigt waren, das Geschirr in den Küchenschränken zu verstauen.
Die Familie hatte das neue Zuhause erst vor wenigen Tagen bezogen. Es war ein renovierungsbedürftiges, aber traumhaftes Anwesen, das der Vater günstig erworben hatte. Vor allem der parkähnliche Garten war ein Paradies für die Kinder. In den mit Wildblumen bewachsenen Wiesen durften sie nach Herzenslust herumtoben und mussten nicht irgendwelche Verbote beachten.
Sabrina und ihr Bruder genossen die neue Freiheit in vollen Zügen. Dementsprechend sahen sie jetzt auch aus. Michi, der seiner Schwester nachgestolpert kam, schien jeden Winkel des neuen Heims ausgekundschaftet zu haben. In seinem strohblonden Lockenschopf hatten sich Grashalme und kleine Zweige verfangen, und seine Hose wies über dem Knie ein dekoratives Loch auf. Auch Sabrinas weiße, frisch gestärkte Dirndlschürze glich eher einem Putztuch als einem Kleidungsstück.
Beim Anblick ihrer Kinder schlug Vera Keller entsetzt die Hände zusammen.
»Wie seht ihr denn aus?«, rief sie entgeistert. Als sie jedoch in die strahlenden, von dicken Schmutzspuren durchsetzten Gesichter der Geschwister sah und die unbändige Lebensfreude in den Augen erblickte, konnte sie nicht länger zürnen. Sie lächelte verständnisvoll. »Die Umgebung habt ihr wohl ausgiebig erkundet, was?«
Sabrina nickte begeistert. »Es ist wunderschön hier, Mama! So viele verschiedene Blumen hast du bestimmt noch nie gesehen. Michi und ich haben in den Büschen Verstecken gespielt. Es war richtig abenteuerlich. Mama, hier möchte ich nie wieder fort!«
Schwungvoll warf sie sich auf das behagliche Sofa, das die bäuerliche Note der Küche unterstrich, und ließ vergnügt die Füße baumeln. Die weißen Kniestrümpfe waren ebenfalls reif für die Waschmaschine.
Vera seufzte leise. In der ländlichen Gegend musste sie wohl umdenken. Hier war nicht Schick, sondern Zweckmäßigkeit der Kleidung gefragt. Hier