Kapitel 1
»Darf ich einen Hund haben?« Danny saß auf dem Boden und spielte mit Lego. Er blickte hoffnungsvoll zu seiner Mutter hoch.
Edie nahm eine Stecknadel aus dem Mund und seufzte. »Danny, du weißt doch, dass der Vermieter keine Haustiere duldet. Außerdem habe ich keine Zeit, mich um einen Hund zu kümmern.«
»Ich habe Zeit«, sagte ihr Sohn ernsthaft.
»Selbst wenn die Hausverwaltung von Eastern Estates Haustiere erlauben würde, wärst du nicht alt genug, um allein mit einem Hund Gassi zu gehen.«
Edie schauderte bei der Vorstellung, dass ihr achtjähriger Sohn ohne Begleitung am Flussweg entlanglief. Erst letztes Jahr war der Fluss über die Ufer getreten und hatte die angrenzenden Cottages überschwemmt, so dass die Bewohner evakuiert werden mussten. Mit Flüssen war nicht zu spaßen.
»Und ein Kätzchen?«, schlug er vor. »Mit Katzen muss man nicht Gassi gehen.«
Hach, das musste man ihm lassen, er gab nicht auf. »Tut mir leid, Danny, aber ich darf einfach nicht riskieren, dass eine Katze mit ihren Krallen den Stoff zerkratzt.« Sie zeigte auf den Berg aus Spitze und Seide, der den kleinen Tisch im Wohnzimmer bedeckte. Edie arbeitete immer an mindestens drei teuren Braut- oder Brautjungfernkleidern gleichzeitig.
»Und wenn du sie in deinem Zimmer aufbewahrst und die Tür zulässt? Ich passe gut auf, dass die Katze nicht da reingeht.«
»Katzen kommen überall rein, Dan. Die kann man nicht aufhalten. Und ich lasse doch mein Schlafzimmerfenster gern einen Spaltbreit offen.«
»Ich kann sie aufhalten«, sagte er und nickte energisch mit dem Kopf. »Mary wäre eine Hauskatze, die nie rausgeht. Dann darfst du dein Fenster aufmachen, und sie könnte sich niemals reinschleichen.«
»Mary? Du hast der Katze schon einen Namen gegeben?«, fragte sie und sah zu ihrer Überraschung, dass Danny bis unter die Haarwurzeln seines sandblonden Schopfes errötete.
Er senkte den Kopf, konzentrierte sich auf sein Lego und murmelte: »Vielleicht.«
Edie lächelte. »Und wenn das Tier ein Junge ist?«
»Ist es nicht.« Ihr Sohn ließ sich nicht beirren. »Mary ist ein Mädchen.«
»Eine deiner Klassenkameradinnen heißt Mary, oder?«
Kurze Stille. »Ja …«, murmelte er weiter. Die Farbe seiner Wangen war nun in ein leuchtendes Rosa übergegangen.
Edie vermutete, ihr kleiner Junge könnte einen Schwarm haben. Sein erster, wie süß! Dem schwachen Strich der Schneiderkreide folgend, schob sie eine unglaublich scharfe, feine Nadel in die weiße Seide. Der plötzliche Anflug von Wehmut traf sie unvorbereitet. Ihr Sohn wurde viel zu schnell groß. Ehe sie sichs versah, würde er kein Kind mehr, sondern ein Teenager sein. Und was sollte dann aus ihr werden? Dann würde er ihrer Gesellschaft die von Mädchen und seinen Freunden vorziehen. Er würde sie ganz allein zurücklassen, bis nur