Kapitel 1
Sechs Monate später
Em
Mit verkrampften Fingern, an deren Nägeln sie während der Fahrt unaufhörlich geknibbelt hatte, reichte Em dem Taxifahrer die Scheine und stieg aus.
Augenblicklich durchfuhr ein herbstlicher Wind ihre offenen Haare. Fahrig strich sie sich die Strähnen hinter die Ohren und wuchtete ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Kaum, dass sie die Klappe zugeschlagen hatte, fuhr das Taxi davon.
Em zog den Reißverschluss des grünen Parkas bis ganz nach oben und bereute, den dicken Wollschal irgendwo unter den lieblos in den Koffer geworfenen Klamotten verstaut zu haben.
Schon am Flughafen in Manchester war der gleiche böige Wind zu spüren gewesen, und andächtig hatte sie zuerst auf der Zugfahrt bis nach Bradford und dann vom Taxi aus beobachtet, wie dieser unnachgiebig durch Bäume und Büsche brauste und graue Wolken über den Himmel trieb.
Sie hatte es geschafft. Sie war hier, auch wenn sie nicht recht wusste, was sie hier zu finden hoffte.
Em sah sich um. Der Taxifahrer hatte sie neben einem unebenen betonierten Parkplatz herausgelassen. Die Straße, an der sie stand, wurde gesäumt von Häusern, deren Sandsteinfassaden einst gelblich gewesen sein mussten, inzwischen aber dunkel und ein wenig düster wirkten. Nur hier und da war ein Hauch der ursprünglichen Farbe zu erkennen, doch die Jahrzehnte – oder waren es Jahrhunderte – hatten kaum etwas davon übrig gelassen.
Prüfend spähte Em zum bewölkten Himmel hinauf und dann auf ihre Uhr. Eine Stunde Zeitverschiebung. Also musste es jetzt kurz nach halb fünf sein, und die Dämmerung setzte tatsächlich schon ein. Doch Haworth lag auch deutlich nördlicher als Stuttgart.
»Haworth«, murmelte sie, und ein Kribbeln zog durch ihren Bauch.
Em zog das Handy aus der Jackentasche und öffnete die Landkarten-App. Ihr Daumen drückte auf die Adresse, die sie