2.
Frequenzfolger Kharonis:
Der Gefangene
Kharonis verschmolz förmlich mit seiner Umgebung, eine Gabe, über die jeder Frequenzfolger der Monarchie verfügte. Niemand konnte ihn als Paraschleicher wahrnehmen.
Kharonis huschte durch den Schatten einer Häuserruine inmitten der zerstörten Stadt der Halbspur-Changeure. Sein Ziel bildete eine dieser jämmerlichen Kreaturen, die sich töten ließen, ohne Widerstand zu leisten.
Kein Einziger hatte eine Waffe gehoben, um sich zu verteidigen. Die Stadt war ebenso wie der Polyport-Hof dieser Welt ohne Gegenwehr erobert worden. Nur eine kleine Gruppe von Fremdwesen hatte Gegenwehr gezeigt; so wenige Personen, dass es kaum der Rede wert war.
Wann immer die Darturka allerdings Gefangene machen wollten, verflüchtigten sich die Halbspur-Changeure – sie lösten sich auf, ohne eine Spur zu hinterlassen. Kharonis hatte diesen Vorgang einmal selbst beobachtet; seine Klonsoldaten trafen immer häufiger darauf. Wenn es so weiterging, würde es in absehbarer Zeit keine Bewohner dieser Welt mehr geben.
Kharonis benötigte jedoch einen Gefangenen, dem er Fragen stellen konnte; jemanden aus dem Volk der Halbspur-Changeure, der rätselhaften Fremden, die sich in dieser Zeitepoche – der Vierten Hyperdepression – offenbar zu den Herren des Polyport-Netzes aufgeschwungen hatten.
Zumindest wurden sie als diese angesehen.Herren des Netzes. Sie maßten sich an, über etwas zu bestimmen, was in Wahrheit der Frequenz-Monarchie zustand! Kharonis würde herausfinden, wie es zu dieser Ungeheuerlichkeit gekommen war. Dieses Rätsel zu lüften war Teil seines Weges, der ihn an ein herrliches Ziel führte.
Er spürte es.
Er wusste es.
Er sah in seinen Visionen, dass etwas Bedeutungsvolles auf ihn wartete. Dieses Ziel war so sehr in gleißendes, wundervolles Licht getaucht, dass alles andere dagegen verblasste. Kharonis konnte inmitten dieses Lichtes nichts erkennen, aber er wusste, dass er den Weg dorthin mit unerschütterlicher Gewissheit verfolgen musste. Am Ende erwartete ihn etwas von gewaltiger Bedeutung. Das PARALOX-ARSENAL, die Ultimate Waffe, die der Monarchie vor langer Zeit verloren gegangen war?
Seine inneren Visionen teilte er mit niemandem; weder mit seiner Kriegsordonnanz Ptoriss noch mit irgendjemandem sonst. Auch andere Frequenzfolger hätten ihn nicht verstanden – er unterschied sich von ihnen. Schon immer war er anders gewesen, hatte die Macht des Geistes und seiner Visionen erkannt.
Dieses andere trieb ihn an. Es verlieh ihm die Zuversicht, dass er bei seiner Jagd auf Gefangene erfolgreich sein würde. Diese kleine Gestalt vor ihm, dieser Changeur, nur noch zwanzig Meter entfernt, jenseits des verbrannten, verkrüppelten Baumes ... er würde ihm nicht entkommen, indem er sich auflöste. Er würde ihm Antworten geben! Dieses Volk wusste mehr als jedes andere über das Netz; mit einiger Wahrscheinlichkeit kannten sie die Position weiterer Verlorener Höfe. Nicht umsonst verwalteten sie das Netz und lebten selbst in der Nähe eines planetar verankerten Polyport-Hofes.
Kharonis umrundete den Baum, zielte und schoss.
Der Halbspur-Changeur erstarrte mitten in der Bewegung. Die Paralyse wirkte sofort. Wahrscheinlich hatte er das Verderben, das sich ihm nahte, nicht einmal wahrgenommen.
Der rechte Fuß schwebte einige Zentimeter über dem Boden. Der Körper verlor erst nach Sekunden das Gleichgewicht und kippte vornüber. Das belastete Bein knickte ab; der Changeur schlug mit dem Gesicht auf.
Zufrieden schoss der Frequenzfolger ein zweites Mal.
Sicher war sicher.
*
Kharonis packte den Gefangenen und schleppte ihn zu seinem Gleiter. Für den Frequenzfolger war der Changeur alles andere als eine schwere Last; kaum halb so groß wie ein Vatrox, konnte er ihn leicht tragen.
Die Beine des Changeurs schleiften über den Boden. Die weiße Kombination zerriss über den Füßen, und bald blieben in der Spur blutige Flecken zurück. Kharonis kümmerte sich nicht darum. Ob sein Gefangener Schaden nahm oder nicht, war nicht von Bedeutung. Wichtig war einzig und allein, dass er nicht starb – und keine Gelegenheit erhielt, sich zu verflüchtigen.
Der Schwebegleiter stand fünfzig Meter entfernt am Rand eines freien Platzes, der wohl vor Stunden mit Gras bewachsen gewesen war. Nun bildete er eine große, schwarz verkohlte Fläche. Im Zentrum war eine Bombe explodiert und hatte einen tiefen Graben gerissen. Verkohlte Pflanzenreste und nackte Äste eines Baumes häuften sich an Stellen, zu denen die Druckwelle der Explosion sie hingetrieben hatte.
Ptoriss wartete wie befohlen vor dem Gleiter. Kharonis hatte die kleine, ihn umtänzelnde Gestalt nicht vermisst; am wenigsten den widerwärtigen Gestank, der ständig von dem kleinen Humanoiden mit der semitransparenten Haut ausging. Wäre Ptoriss nicht ein solch guter Ratgeber gewesen und würde die Ordnung der Dinge nicht vorgeben, dass ihn eine Kriegsordonnanz begleitete, Kharonis hätte schon längst ...
Der Frequenzfolger wischte den Gedanken beiseite.Nicht jetzt! Es kam nun auf andere Dinge an. Keine Zeit, einen einzigen Gedanken zu verschwenden.
»Du hast alles vorbereitet?«, fragte Kharonis.
Ptoriss bestätigte und zog einen Metallstab, dessen Ende in vier Teile auseinanderklaffte. Sie verjüngten sich zur Spitze hin und liefen in nadelfeinen Enden aus. »Ich kann sofort ...«
»Warte, bis er im Gleiter liegt.« Der Frequenzfolger schleuderte seinen Gefangenen ins Innere des Schwebefahrzeugs. Der Halbspur-Changeur schlug hart auf und rutschte über den Boden, bis er gegen die Verankerung einer Sitzfläche stieß.
Ptoriss sprang hinterher und kniete neben dem Reglosen nieder. Der Gefangene und die Kriegsordonnanz waren fast gleich groß. Unter Ptoriss' Schädeldecke pulsierte die Hirnhauptader stärker als gewöhnlich, was durch die halb durchsichtige Haut überdeutlich zu erkennen war. Es war ein Zeichen seiner Nervosität. Kharonis entging dieses Detail nicht, er kannte seinen ständigen Begleiter zu gut.
Die Spitzen der Metallstange bohrten sich durch das weiße Material des Anzugs, den der Gefangene trug. Blut quoll hervor. Ptoriss zog die Stange zurück. Ein fingerbreites Stück Fleisch hing zwischen den Spitzen, von einem blau flirrenden Energiefeld umgeben. »Ich musste improvisieren. Ausrüstung für medizinische Experimente führten wir leider nicht mit uns.«
»Wozu hätten wir es auf einer Eroberungsmission auch brauchen sollen?«
»Selbstverständlich ... selbstverständlich. Es war ke