1. Kapitel
Der erste Schnee fiel, als sie von der Bundesstraße auf die schmale, gewundene Straße in Richtung Küste abbogen.
»Siehst du, Pia, wir haben doch das richtige Auto genommen.« Lars Kuhn schaltete die Scheibenwischer des alten Landrovers auf die zweite Stufe. Die kurzen Wischerarme ruckten hektisch hin und her, doch die dicken Schneeflocken nahmen ihnen trotzdem beinahe die Sicht.
Pia Korittki warf einen Blick nach hinten zu ihrem dreijährigen Sohn. »Schade, dass Felix eingeschlafen ist. Der würde sich bestimmt über den Schnee freuen.«
»Hat Felix überhaupt schon einmal richtig viel Schnee erlebt?«
Pia ließ die letzten drei Jahre Revue passieren. »Nein, bisher blieb es, glaube ich, immer nur bei Schneematsch.«
Wie schnell die Zeit vergangen war! Pia arbeitete als Kriminalkommissarin bei der Lübecker Bezirkskriminalinspektion, zwar mit reduzierter Stundenzahl, doch es war immer zu wenig Zeit, sowohl im Beruf als auch für Felix und nicht zuletzt für ihren Freund Lars. Umso mehr freute Pia sich auf die gemeinsamen Urlaubstage am Meer. Ihr Reiseziel lag an der Ostseeküste, nicht weit von Lübeck entfernt. Sie hatten nicht noch unnötig Zeit mit einer langen Anreise vergeuden wollen.
»Vielleicht bleibt der Schnee ja liegen.« Lars steuerte sein Lieblingsgefährt mit einem zufriedenen Lächeln über die kurvige Landstraße. Er deutete über den Ersatzreifen auf der Motorhaube nach vorn. »Schau mal den Himmel dort hinten an. Da kann noch einiges an Schnee herunterkommen.«
Seine beinahe kindliche Freude über die schwierigen Straßenverhältnisse war ansteckend. »Ich versteh schon. Du möchtest endlich mal wieder deinen Allradantrieb einschalten müssen«, neckte Pia ihn. »Hast du denn auch alles dabei? Eine Winde und einen Spaten, um uns frei zu schaufeln. Die Sandbleche und so?«
Er lachte auf. »Klar. Das werden ein paar superschöne Tage, Pia.« Lars legte die Hand auf ihr Bein und drückte leicht zu. »Wir lassen uns durch nichts stören, okay?«
Eine Viertelstunde später, nachdem sie den Küstenort Hochfeld hinter sich gelassen hatten, tauchte auf der linken Seite ein kleiner Hafen auf. Viele der Schiffe befanden sich im Winterlager, und auch die grün gestrichenen Bootsschuppen sahen verwaist aus. Kurz darauf bogen sie in einen Schotterweg ein, der zu zwei reetgedeckten Bauernhäusern führte. Hinter dem flachen Dünengürtel und der Ostsee türmten sich graue Wolken. Die beiden Häuser duckten sich unter mächtigen Linden, und die dazugehörigen Gärten waren von einem Lattenzaun und einer hohen Hecke eingefasst. Ihr Feriendomizil sah so urig und gemütlich aus, dass Pia den spontanen Wunsch verspürte, wirklich für ein paar Tage hier eingeschneit zu werden.
Lars parkte neben dem Fachwerkhaus, in dem sie eine Ferienwohnung gemietet hatten. Den Schlüssel hatten sie in Hochfeld im Büro der Ferienhausagentur von Wiebke Schütz abgeholt. Pia schloss auf und trat mit Lars, der den schlafenden Felix auf dem Arm trug, ins Haus.
Sie schaltete das Licht ein und sah sich um. Holzdielen, Sprossenfenster, offene Balken, mit kariertem Stoff bezogene Polstermöbel und ein aus Backstein gemauerter Kamin. »Das hast du gut ausgesucht«, sagte sie erfreut.
»Und es ist absolut ruhig hier. Wir haben endlich mal Zeit für uns.«
Pia sah sich in der Küche um. Sie meinte, einen herausfordernden Ton in Lars’ letzter Bemerkung herauszuhören, und lächelte. »Weißt du, selbst wenn mir gleich aus diesem Backofen eine abgehackte Hand entgegenfällt: Es