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Alles war so voller Licht! Der weiche Dunst über den Wiesen und dem Bodden, die ersten zarten Blätter in den Birken am Waldrand – die Welt war nach der letzten verregneten grauen Zeit von einem Tag auf den anderen wie verzaubert. Immer mehr Krokusse öffneten sich unter dem Sanddornbusch, an dem bunte Tassen leise im Wind schaukelten. Versonnen stupste Franzi einen hellgrünen Henkelbecher mit Vergissmeinnichtmuster an, um ihn noch mehr in Bewegung zu bringen.
Frühlingsfarben! Sie hatte sich so danach gesehnt, und nun wurden sie um sie herum wieder Wirklichkeit. Der Wind hatte endlich gedreht. Statt des kalten, scharfen Nordwinds der letzten Wochen kam er nun aus dem Süden. Sanft und lau strich er um die Hausecken und trug vom Meer her durch den Wald einen Duft nach Wärme, Neuanfang und Blüten bis in den Garten. Und jetzt hatte sie sogar ein kleines Wunder entdeckt! Franzi hatte schon eine ganze Weile vor dem Baum mit den baumelnden Tassen gestanden und sie zufrieden betrachtet, bevor ihr aufgefallen war, dass ganz oben in einer davon eine Blaumeise begonnen hatte, ein Nest zu bauen. An diese Möglichkeit hatte sie nie gedacht.
»Guten Morgen! Dieser erstaunliche Anblick sieht so einladend aus. Könnte ich eventuell …«
Franzi fuhr zusammen, dann unterbrach sie den Fremden hastig, indem sie eine Hand hob und den Zeigefinger der anderen auf ihren Mund legte. Eindringlich zeigte sie nach oben. Sie wollte auf keinen Fall, dass das winzige, scheue Wesen gestört wurde.
Sie hatte den Mann nicht kommen sehen, so versunken war sie in ihre plötzliche Frühlingshochstimmung gewesen. Er musste ein Feriengast sein, sie hatte ihn hier noch nie bemerkt. Nun blickte er leicht amüsiert und betreten erst auf sie, dann nach oben. Die Verlegenheit wich einem Lächeln, er legte ebenfalls einen Finger auf die Lippen und nickte. Franzi winkte ihn um die Hausecke herum.
»Guten Tag! Entschuldigung. Ich wollte nur nicht, dass wir die Meise verjagen. Was wollten Sie sagen? Möchten Sie frühstücken?«
»Ja, das war mein spontaner Einfall. Hella Fuchs hat mir neulich Ihr Café empfohlen, ich soll Sie von ihr grüßen. Haben Sie denn schon geöffnet?«
»Ja, selbstverständlich. Sie kennen Hella?«, fragte Franzi interessiert. Die alte Dame wohnte nicht weit weg und war ihr ans Herz gewachsen. Hella hatte ihr schon oft einen guten Rat geben können, denn sie war hier auf dem Darß aufgewachsen, anders als Franzi, die noch nicht lange auf der Halbinsel Fuß gefasst hatte.
»Ich habe bei ihr die frei gewordene Stelle als Pfleger angetreten«, erklärte er. »Sie wissen sicher, dass mein Vorgänger nach Kanada gegangen ist.«
»Ach, wie schön, dass Hella jemanden gefunden hat. Wo waren Sie denn vorher tätig? Haben Sie sich schon eingelebt?«
Hoffentlich war er nett zu Hella und ihrem Partner Quentin und behutsam im Umgang mit ihnen.
Sie schätzte ihn auf ein paar Jahre älter als sie selbst, etwas über vierzig vielleicht. Er hatte erstaunlich grüne Augen. Und die blickten wieder amüsiert.
»Entschuldigen Sie meine Neugier«, fügte sie hastig hinzu. »Aber ich mag Hella sehr, und sie ist doch recht gebrechlich geworden.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Franzi. Mein Lebensgefährte Matteo und ich führen gemeinsam das Café.«
Sein Händedruck war fest und warm. »Lian. Ja, danke. Ich habe früher schon einmal am Meer gelebt. Da