: Patricia Koelle
: 24 Stück vom Glück 24 inspirierende Geschichten
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104910147
: 1
: CHF 9.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wenn Weihnachten naht, öffnet Patricia Koelle die Herzen Ein Adventskalender zum Lesen. 24 Geschichten mit kreativen Inspirationen, die das Warten auf Weihnachten verkürzen. Weihnachtszeit ist nicht nur Zeit großer Feste und aufwändiger Geschenke. Es ist auch die Zeit der kleinen Dinge und Achtsamkeiten, mit denen wir anderen Menschen eine Freude machen und ihren Tag zum Leuchten bringen können. Denn das Glück ist manchmal näher, als wir denken - wir müssen nur die Augen dafür öffnen. Mit Patricia Koelles poetischen und nachdenklichen Geschichten zum Advent wird so jeder Tag zu einem Geschenk.

Patricia Koelle ist eine Autorin, die in ihren Büchern ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften Planeten zum Ausdruck bringt. Bei FISCHER Taschenbuch erschienen, neben Romanen und Geschichten-Sammlungen, die Ostsee- und Nordsee-Trilogie, die Inselgärten-Reihe sowie die Sehnsuchtswald-Reihe. ?Flaschenpost vom Leben? ist der erste Band ihrer Glückshafen-Reihe.

1


Der Korkwald


Als die Haustürklingel schrill seine Gedanken zerriss, betrachtete Johannes Gärtner gerade den Weihnachtsstern, der auf seinem Fensterbrett vor sich hinwelkte. Er hatte die Pflanze doch ordentlich gegossen und dafür gesorgt, dass sie genug Licht bekam! Das mit dem Licht war in diesen trüben Tagen Anfang Dezember nur nicht so einfach. Er fragte sich, ob und womit man Weihnachtssterne düngen sollte, und ihm kam die verrückte Idee, ob wohl die Krümel eines Spekulatius’ helfen würden. Spekulatius waren das einzige Gebäck, das er selbst an Weihnachten noch mochte. Aber der Weihnachtsstern …? Er schüttelte den Kopf. Wenn er noch länger allein lebte, wurde er womöglich immer wunderlicher. Aber er war selbst schuld.

Johannes war bekümmert, denn Frau Lenz von nebenan hatte es gut mit ihm gemeint, als sie den fröhlich blühenden Topf vorbeibrachte. Er hätte sich gern bei ihr revanchiert, er wusste nur nicht, womit.

Wer wohl um diese Zeit noch klingelte? Es wollte doch schon lange niemand mehr etwas von ihm. Als er öffnete, floss ein Strom Kälte direkt in seine Pantoffeln. Hoffentlich war es nicht Frau Lenz, die kontrollieren wollte, wie es ihrem Weihnachtsstern ging. Johannes wollte sie keinesfalls enttäuschen. Er mochte die Wärme in ihren braunen Augen.

Doch die Silhouette in der Dunkelheit war ihm fremd. Im ersten Augenblick. Aber dieser Augenblick dehnte sich seltsam. Er hätte schwören können, dass diese Gestalt schon einmal auf seiner Schwelle gestanden hatte. Mehr noch, dass sie da hingehörte.

Die Lichterkette auf Nachbar Neumanns Balkon blinkte. Für zwei Sekunden erhellte sie das Gesicht unter der Pudelmütze, ehe die Nacht es wieder verschluckte. Johannes’ Herz setzte einen Schlag lang aus, wie die Lichterkette. Das konnte doch nicht …? Wieder der helle Moment. Als wäre es nicht Neumanns Lichterkette, sondern ein Blitz gewesen, schlug bei Johannes die Erkenntnis ein, dass er sich nicht geirrt hatte.

»Hast du deinen Schlüssel verloren?«, war das Einzige, was er endlich herausbrachte. Seine Stimme war heiser. Vielleicht lag es daran, dass das letzte Gespräch dieser Art siebzehn Jahre her war.

»Nein. Ich habe mich nur nicht getraut, ihn zu benutzen.« Wie vertraut die Hand war, die den Schlüssel an einem Band unter dem Pullover hervorzog wie ein Amulett. Schließlich hatte Johannes diese Hand oft genug fest in der seinen gehalten. Beim ersten Schritt in die Wellen. Auf dem Schulweg. Bei Albträumen in der Nacht. Nach dem ersten verlorenen Fußballturnier. Das war alles noch viel länger als siebzehn Jahre her. Später hatte er die Hand nicht mehr gehalten. Da war sie nicht mehr klein, und es wäre Paul peinlich gewesen. Aber er hatte sie beobachtet. Wie sie sorgfältig die Figuren beim Schach setzte. Die Schlittschuhe zuschnürte. Sich noch einmal durch die Haare kämmte, bevor Paul in die Disco ging.

»Ich wusste doch nicht einmal, ob du mich sehen möchtest.« Pauls Stimme klang ebenso heiser wie seine eigene. Wie konnte sein Sohn nur so etwas denken? Dabei wartete Johannes immer wieder sehnsüchtig auf das Aufflackern der Lichterkette, damit er Pauls Gesi