: G. K. Chesterton
: Pater Brown - Tod und Amen Alle Fa?lle in einem Band
: Kampa Verlag
: 9783311703839
: 1
: CHF 26.40
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 1272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie ein Held wirkt er nun wirklich nicht: Pater Brown ist unscheinbar, unbeholfen, dicklich, kurzsichtig, hat einen riesigen Kopf und macht einen etwas einfältigen Eindruck. Noch dazu ist er Priester. Doch unterschätzen sollte man den Geistlichen aus Essex keinesfalls. Gesegnet mit reichlich Menschenverstand (und göttlichem Beistand), hat Pater Brown noch jeden Verbrecher überführt, wenngleich er die Strafe oftmals der göttlichen Gerichtsbarkeit überlässt. Und als katholischer Geistlicher weiß er mehr über die Sünden, die Abgründe der Menschen, über das Böse als seine säkularen Kollegen Holmes, Poirot oder Marple. Dieses Wissen erweist sich ein ums andere Mal als unverzichtbar bei seinen Ermittlungen, die sich mal in einem Landhaus, mal im Beichtstuhl, mal in einem idyllischen Gärtchen und mal auf Londons Straßen zutragen. Was ihn das Böse auf Erden ertragen lässt? Sein Humor - und der hat es in sich. Sämtliche Fälle des wohl ungewöhnlichsten Ermittlers der Kriminalliteratur jetzt in einem Prachtband versammelt.

GILBERT KEITH CHESTERTON, 1874 in London-Kensington in eine protestantisch-unitarische Familie hineingeboren, war in jungen Jahren stark von allem Okkulten fasziniert, trat aber 1922 schließlich der römisch-katholischen Kirche bei. Er studierte Illustration und Literaturwissenschaft (ohne Abschluss), arbeitete als Karikaturist und Journalist. Die Felder, auf denen er sich als Literat bewegte, waren vielfältig: Er schrieb Essays, Gedichte, Theaterstücke, Erzählungen und Romane. Außerdem war er ein streitbarer Intellektueller, führte Debatten zu ethischen, sozialen, historischen, aber auch (wirtschafts-)politischen Fragen mit George Bernard Shaw (seinem besten Freund, mit dem er allerdings selten einer Meinung war), H. G. Wells oder Bertrand Russell. Chesterton starb 1936 in Beaconsfield, Buckinghamshire. Die Totenmesse wurde in der Westminster Cathedral gehalten. 2013 wurde in Northampton ein Verfahren zu seiner Seligsprechung eröffnet, das jedoch sechs Jahre später wegen Chestertons »Mangel an Spiritualität« eingestellt wurde.

Einfalt


Das blaue Kreuz


Zwischen dem silbernen Band des Morgens und dem grün glitzernden Band der See legte das Schiff in Harwich an und entließ einen Schwarm Menschen wie Fliegen, darin der Mann, dem wir folgen müssen, keineswegs auffällig war – und es auch nicht zu sein wünschte. Nichts an ihm war bemerkenswert, außer einem leichten Gegensatz zwischen der Ferienfröhlichkeit seiner Kleidung und der Amtsgewichtigkeit seines Gesichts. Seine Kleidung bestand aus einer leichten hellgrauen Jacke, einer weißen Weste und einem silberfarbenen Strohhut mit graublauem Band. Sein hageres Gesicht war im Gegensatz dazu dunkel und endete in einem kurzen schwarzen Bart, der spanisch aussah und nach einer elisabethanischen Halskrause verlangte. Er rauchte eine Zigarette mit der Ernsthaftigkeit eines Müßiggängers. Nichts an ihm deutete auf die Tatsache hin, dass die graue Jacke einen geladenen Revolver verdeckte, dass die weiße Weste einen Polizeiausweis verdeckte oder dass der Strohhut einen der klügsten Köpfe Europas bedeckte. Denn es handelte sich um Valentin selbst, den Chef der Pariser Polizei, den berühmtesten Detektiv der Welt; und er war von Brüssel nach London unterwegs, um den größten Fang des Jahrhunderts zu machen.

Flambeau war in England. Der Polizei dreier Länder war es endlich gelungen, die Spur des großen Verbrechers zu verfolgen: von Gent nach Brüssel, von Brüssel nach Hoek van Holland. Nun wurde vermutet, dass er sich die Ungewohntheit und den Trubel des Eucharistischen Kongresses zu Nutze machen würde, der gerade in London stattfand. Vermutlich würde er als einfacher Geistlicher oder damit befasster Sekretär angereist kommen; aber dessen konnte sich Valentin natürlich nicht sicher sein; bei Flambeau konnte niemand sicher sein.

Viele Jahre ist es jetzt her, seit dieser Gigant des Verbrechens unvermittelt davon abgelassen hat, die Welt in Aufruhr zu versetzen; und da war, wie es nach dem Tod von Roland[1] hieß, eine große Stille auf Erden. In seinen besten Tagen aber (ich meine natürlich, in seinen schlimmsten) war Flambeau eine so prominente und internationale Figur wie der Kaiser[2]. Nahezu jeden Morgen berichtete die Zeitung, dass er sich den Folgen des einen außerordentlichen Verbrechens entzogen hatte, indem er ein anderes beging. Er war ein Gascogner von riesiger Gestalt und größtem Wagemut, und man erzählte sich die wildesten Geschichten über die Ausbrüche seines athletischen Humors; wie er denjuge d’instruction[3] umdrehte und auf den Kopf stellte, »um ihm den Geist zu klären«; wie er die Rue de Rivoli hinabstürmte mit einem Polizisten unter jedem Arm. Man muss ihm freilich zugestehen, dass er seine phantastische Körperkraft in erster Linie bei solch unblutigen, wenngleich würdelosen Auftritten einsetzte; seine wirklichen Verbrechen waren hauptsächlich solche der genialen und groß angelegten Räuberei. Doch jeder seiner Diebstähle war fast eine neue Sünde und würde eine eigene Geschichte abgeben. Er war es, der die große Tiroler Molkereigesellschaft in London betrieb: ohne Molkerei, ohne Kühe, ohne Milchwagen, ohne Milch, aber mit einigen tausend Kunden. Er bediente sie auf die einfachste Weise dergestalt, dass er die kleinen Milchkannen vor anderer Leute Türen wegnahm und vor die seiner Kunden stellte. Er war es, der mit einer jungen Dame eine unerklärliche und enge Korrespondenz unterhielt, obwohl deren Posteingang überwacht wurde, indem er sich des außerordentlichen Tricks bediente, seine Botschaften unendlich klein auf die Plättchen eines Mikroskops zu fotografieren. Viele seiner Unternehmungen waren jedoch von umwerfender Einfachheit. So wird erzählt, dass er einmal mitten in der Nacht alle Hausnummern einer Straße ummalte, nur um einen bestimmten Reisenden in eine Falle zu führen. Sicher aber ist, dass er einen tragbaren Briefkasten erfand, den er in ruhigen Vorstädten aufstellte für den Fall, dass Ortsfremde Geldanweisungen hineinwürfen. Schließlich war er auch als erstaunlicher Akrobat bekannt; trotz seiner mächtigen Gestalt konnte er springen wie ein Heuschreck und in Baumkronen verschwinden wie ein Affe. Daher denn der große Valentin, als er daranging, Flambeau zu fassen, sich völlig klar darüber war, dass seine Abenteuer nicht