: Anja Marschall
: Feuer in der Hafenstadt Historischer Kriminalroman, überarbeitete Neuausgabe von 'Fortunas Schatten'
: Emons Verlag
: 9783960417286
: 1
: CHF 7.70
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 256
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine spannende Zeitreise in die Kaiserzeit um 1900. Glückstadt, 1894. Kapitän Hauke Sötje hat alles verloren: sein Schiff, seine Mannschaft, seinen Ruf. Ein ehrenvoller Freitod scheint ihm der einzige Ausweg aus einer gescheiterten Existenz - aber nicht ohne zuvor die Verantwortlichen seiner persönlichen Katastrophe zur Rechenschaft zu ziehen. Doch dann wird er in einen brisanten Mordfall verwickelt, der die Existenz der neu gegründeten Heringsfischerei AG bedroht, und gerät schließlich selbst unter Verdacht. Mit Hilfe der jungen Fabrikantentochter Sophie versucht Hauke die Fäden zu entwirren und kommt einer Verschwörung ungeahnten Ausmaßes auf die Spur.

Die gebürtige Hamburgerin Anja Marschall lebt seit vielen Jahren mit ihrer Familie im Westen Schleswig-Holsteins, wo sie als Journalistin und Autorin arbeitet. Sie initiierte den ersten Krimipreis für Schleswig-Holstein, ist Mitglied im SYNDIKAT sowie bei den 'Mörderischen Schwestern'.

KAPITEL 1

Glückstadt. Im Monat December 1893 kamen 39 Personen zur polizeilichen An- und 53 zur Abmeldung. Im Polizeigefängnis waren 128 Personen inhaftiert, und zwar 5 wegen Bettelns, 5 wegen Trunkenheit, 1, welcher nach Holland transportiert werden soll (ist aus dem Reichsgebiet verwiesen), 2 zur Verbüßung von Militärstrafen, 1 wegen Verdachts des Diebstahls und 4 wegen Obdachlosigkeit.

Original: Glückstädter Fortuna, Januar 1894

Glückstadt, Januar 1894

Es war mühevoll und gefährlich gewesen, zwischen den Eisschollen auf der Elbe in den Hafen von Glückstadt einzufahren. Der Winter in diesem Jahr war hart. Doch endlich erreichte die »Alte Möwe« ihren Liegeplatz im Binnenhafen. An der Reling hingen Eiszapfen. Die Männer hatten Sand an Deck gestreut, um auf den vereisten Planken nicht auszurutschen. Mit steif gefrorenen Händen standen sie bereit, um ihr Schiff gleich hinter der Schleuse festzumachen.

Überall im Hafen sah man Männer in Arbeitsjacken und groben Leinenhosen von und zu den Schiffen eilen. Sie waren mit der Flut eingelaufen und lagen in Zweierreihen auf beiden Seiten des Binnenhafens. Viele von ihnen fuhren auf Fisch oder brachten Waren aus England und Holland nach Glückstadt. Drüben, am Kai vor den schmucken Häusern, gab es eine neue Pferdebahn. Sie beförderte die Fänge und Waren direkt von den Schiffen in die Stadt oder zum nahen Bahnhof. Hier aber, auf der Rethövelseite, mussten die Fässer vom Anleger erst mühsam den Deich hochgerollt und auf die Fuhrwerke der Händler gehievt werden, die die Waren dann wie eh und je in die Stadt schafften.

Seit einiger Zeit fand sich unter den vielenEwern und Kuttern auch ab und zu eines dieser neuen Dampfschiffe, aus deren Schornsteinen eine stinkende Rußfahne hervorquoll.

Die Besatzung der »Alten Möwe« begann, die Ladung zu löschen. In denKantjes zu Haukes Füßen lag der letzte Fang, den sie vor Cuxhaven gemacht hatten. Hauke hievte eines der halbhohen Fässer mit gesalzenem Hering hoch und stemmte es auf seine Schulter. Dann nahm er die schmale Planke hinauf an Land.

Auf dem Deich sah man die Händler ungeduldig warten, dass der vereidigte Prüfer der Stadt, den man hierHeringswracker nannte, die Qualität des Fanges endlich festlegte. Dann konnten sie mit den Kapitänen der Schiffe über den Preis verhandeln.

»Das gibt heute gutes Geld«, meinte der Mann neben Hauke. Er hieß Hinnerk, und seine ehrliche Art hatte Hauke auf der Fahrt von Holland nach Glückstadt gefallen. Sie gingen zurück an Bord, um weitere Fässer zu holen. Hauke sah kurz zum Niedergang am Heck. Dort schob sich soeben der Kopf von Kapitän Jensen durch die Luke. Hauke meinte, trotz der Entfernung den alkoholvernebelten Atem des Mannes riechen zu können. Auch die anderen hatten Jensen bemerkt und beobachteten finster, wie er an Deck krabbelte und sich mühsam aufrichtete. Seit sie das Ijsselmeer passiert hatten, hatte die Mannschaft ihn nicht mehr gesehen. Die Schirmmütze saß schief auf seinem schmierigen Haar. Mit der einen Hand hielt er sich an der Reling fest und mit der anderen versuchte er ungelenk, sein Hemd in die fleckige Hose zu stopfen.

Verächtlich spuckte Hinnerk auf die Planken des Schiffes. »He kann obends nich so veel drinken, dat he morgens kenn Dörst mehr hett.« Regungslos s