: Silke Schütze
: Rosmarintage Roman
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426425534
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
An seinem 76. Geburtstag findet Max Engel im Internet die Liebe seines Lebens wieder, die Französin Rosalie. Also überredet er die unkonventionelle Altenpflegerin Tamara Finke, die in seinem Seniorenheim jobbt, mit ihm nach Südfrankreich zu fahren, um Rosalie zurückzugewinnen. Für beide beginnt eine Reise, auf der sie lernen, dass die Tage im Leben am schönsten sind, die nach Rosmarin duften.

Silke Schütze, Jahrgang 1961, lebt in Hamburg. Nach ihrem Studium der Philologie war sie Pressechefin bei einem Filmverleih und Chefredakteurin der Zeitschrift CINEMA. Sie hat bereits zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht und hält Schreiben für die zweitschönste Sache der Welt. 2008 wurde Silke Schütze vom RBB und dem Literaturhaus Berlin mit dem renommierten Walter-Serner-Preis ausgezeichnet.

Kapitel 1


Max Engel wusste, dass die Zeit gekommen war. Jetzt musste es schnell gehen. Er war seit Wochen auf diesen Tag vorbereitet. Bereits am Ostersonntag war ihm klargeworden, dass er fliehen musste. Er hatte im großen Speisesaal gesessen und erkannt, dass kein einziger Mensch in diesem Raum in dieser Minute dort sein wollte. Die Alten saßen erschrocken auf ihren Stühlen und konnten den vielen durcheinandersprechenden Stimmen nicht folgen. Ihre Besucher versuchten, durch lautes Gelächter, viele Worte und ausladende Gesten die lähmende Atmosphäre des Seniorenheims zu bekämpfen. Sie warenso wichtig! Und, so hatte Max Engel damals gedacht, sie waren voller Angst, auch einmal so alt, so schwach, so uninteressant zu werden. Sie wollten den Pflichtbesuch hinter sich bringen und in ihre schnelle, bunte, lebendige Welt zurückkehren und den Nachmittag rasch vergessen.

Innenarchitekten hatten versucht, dem Speisesaal des Seniorenheims die Anmutung eines Hotelrestaurants zu verleihen. Aber Max ließ sich keinen Sand in die Augen streuen: die Rollatoren und Krücken, die Handläufe an den Wänden, der belehrende Tonfall der Pfleger und Pflegerinnen, die nicht mehr merkten, dass sie mit den alten Menschen sprachen wie mit kleinen Kindern …

»JVA Abendsonne« nannte Max das Heim bei sich, das unter »Seniorenresidenz am Park« firmierte und dessen Leitung das Personal anhielt, von den Bewohnern als »Gästen« zu sprechen. Schon wieder eine Lüge, dachte Max Engel an diesem hellen Junimorgen, während er sich für das wahrscheinlich letzte Abenteuer seines Lebens bereitmachte. Gäste waren nicht, wie er und seine bedauernswerten Schicksalsgenossen, gezwungen zu bleiben. Bis zur Verlegung auf die Pflegestation, bis zum letzten Atemzug. Gäste durften gehen. Und genau das tue ich jetzt, dachte Max Engel und merkte, wie sein Herz schneller schlug. Er hörte die aufgeregten Frauenstimmen im Büro von Dr. Maier-Schmidt und ging, so schnell es ihm mit seinem lästigen Stock möglich war, zum hinteren Aufzug. Im Erdgeschoss stieg er aus und sah zufrieden, dass die Rezeption belagert war, wie immer nach dem Frühstück, weil die Heimbewohner Briefmarken kaufen, Tickets für die Veranstaltungen der Residenz bestellen, Fragen loswerden wollten oder einfach nicht wussten, was sie mit dem Vormittag anfangen sollten. Er drückte sich mit einem freundlichen Lächeln an ihnen vorbei und ließ unauffällig seinen Umschlag in das Postfach »Allgemeine Anfragen« gleiten. Er wusste, dass dieses Fach erst am Abend geleert wurde. So hatte er fast einen Tag Vorsprung.

Jovial nickend erwiderte er den Gruß eines Pflegers und bestieg den Aufzug, der ihn in die Tiefgarage bringen würde. Dort hatte er schon vor Wochen einen kleinen Koffer in der Abseite zum Heizungskeller versteckt.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und die Stimme im Lautsprecher tönte unangenehm laut: »Untergeschoss!«

Max sah sich um, er war allein. Er holte seinen Koffer und zog ihn hinüber zu dem verdreckten Fiat Punto in der hintersten Ecke der Parkfläche. Der Kofferraum war erwartungsgemäß nicht abgeschlossen, und Max wusste auch, dass das Schloss der Beifahrertür defekt w