2.
Frequenzfolger Kharonis:
Träumen von PARALOX
»Sieh es dir an.« Ptoriss umtänzelte den Frequenzfolger. Und wie immer stank er.
Kharonis hatte sich schon längst daran gewöhnt. Dennoch sehnte er sich hin und wieder danach – wie etwa in diesem Augenblick –, die kleine Gestalt am Hals zu packen, ihr die halbtransparente Haut vom Leib zu schälen und die Muskeln und Adern, die ohnehin immer zu sehen waren, gemächlich zu entnehmen und in Stücke zu reißen.
Natürlich tat er es nicht.
Immerhin war Ptoriss seine Kriegsordonnanz und damit sein ständiger Begleiter. Er gehörte nun einmal zu ihm. Es war sein Schicksal, nahezu ständig diese kleine Kreatur an seiner Seite zu wissen. Er reflektierte es hin und wieder und nahm es an. Andere Frequenzfolger hatten sich dem Lauf der Dinge längst in so großem Maß ergeben, dass sie nicht einmal mehr in der Lage waren, darüber nachzudenken. Sie hatten jede Distanz verloren und hinterfragten ihr Leben nicht einmal.
In dieser Hinsicht unterschied sich Kharonis merklich von allen Gleichrangigen in der Frequenz-Monarchie. Schon das machte ihn zu etwas Besonderem.
»Was soll ich mir ansehen?«, fragte er. »Ein weiteres Protokoll?«
Ptoriss antwortete nicht, sondern ging zur Steuerkonsole, die am Rand der Transferplattform aufragte. Dahinter glitten die Transferkamine in die Unendlichkeit. Er aktivierte ein Hologramm.
Für kurze Zeit spiegelten sich beide Gestalten in der glatten Fläche des Hologramms: Der Frequenzfolger und seine Kriegsordonnanz. Der zwei Meter große, spindeldürre Vatrox mit schwarzer, pergamentartiger Haut und orangerot leuchtenden Augen ... und sein nur halb so großer Nachfolger, dessen Gehirn unter der Schädeldecke deutlich sichtbar pulsierte. Und der roch nach fauligem Tang und einem Darturka im Stadium fortgeschrittener Verwesung.
Dann flimmerte das Hologramm und zeigte genau die Szenerie, die Kharonis erwartet hatte. Schon hundertmal hatte er Vergleichbares gesehen.
Eine unförmige Gestalt hing im Würgegriff eines Darturka. Der Klonsoldat war mindestens doppelt so breit und dreimal so groß wie das sackartige Etwas, dessen Leib an einen halb mit Wasser gefüllten Sack erinnerte. Einige Pseudopodien hingen schlaff nach unten. Blassrote Flecken trieben im Zentralleib – Glupschaugen und hastig sich weitende Kiemen. Sie veränderten ständig ihre Position, als würden sie nach festem Halt suchen.
Ptoriss' kleine Hand deutete auf die Kreatur. »Er ist ein Conerx'i. Sein Volk leistete nicht viel Widerstand, als unsere Truppen deren Polyport-Hof eroberten. Sie hausten dort in großen Wohnaquarien, hatten weite Bereiche des Hofs sogar geflutet. Unglücklicherweise können sie für wenige Minuten auch außerhalb von Wasser atmen.«
»Unglücklicherweise?«
»Unglücklicherweise für sie. Es war für die Darturka besonders leicht, sie zu foltern und ihnen Antworten zu entlocken.«
Erst nach diesen Worten begriff Frequenzfolger Kharonis, welche Art Szene er gerade beobachtete. Dies war nicht etwa nur die Vorbereitung – die Folterung hatte längst begonnen. Die quallenartige Gestalt wand sich im Griff des Klonsoldaten. Der schwammige Leib plusterte sich auf und zuckte. Die roten Flecken wurden blasser und blasser.
»Der Darturka simulierte das Ersticken an der Luft. Erst im allerletzten Moment übergoss er den Conerx'i mit Wasser, was diesem das weitere Überleben ermöglichte. Es ging schon einige Zeit so. Um dir zu ersparen, es lange mit ansehen zu müssen, habe ich die Wiedergabe der Aufzeichnung erst kurz vor Ende gestartet. Jetzt erst wird es interessant.«
Im Hologramm stampfte der Darturka in Richtung eines weitläufigen geschwungenen Beckens, das in den bernsteinfarbenen Boden eingelassen war. Er streckte den Arm und ließ den Conerx'i einfach fallen.
Kaum tauchte er unter, ging mit dem Quallenartigen eine erstaunliche Verwandlung vor sich. Die Pseudopodien streckten und strafften sich, peitschten elegant durch das Wasser. Nicht nur die verblassten Flecken gewannen ihre Farbe zurück, sondern der gesamte Leib schillerte mit einem Mal bunt. Aus dem unansehnlichen, schlaffen Etwas entwickelte sich in Sekundenschnelle eine prächtige Gestalt voller Leben und Kraft. Dies sah schon eher nach dem Angehörigen eines Volkes aus, das einen Polyport-Hof beherrschte.
»Bist du nun bereit zu reden?«, fragte der Klonsoldat.
Ein Tentakel hob sich aus dem Wasser. Der flache Leib nahm inzwischen mehr als zwei Quadratmeter ein und schillerte dicht unter der Oberfläche des Beckens. Während Kharonis ihn beobachtete, wuchs der Conerx'i noch weiter.
Ein roter Fleck wanderte über den Tentakel an die Spitze, dann öffnete sich dort ein kleiner Mund. Ein grüner Faden schlingerte von ihm aus über den gesamten Tentakel. »Ich weiß nichts über die Halbspur-Changeure. Es heißt jedoch, dass sie ...«
Mit einem abschätzigen Laut ließ Kharonis die Faust auf den Sensor krachen, der das Hologramm abschaltete. Das Bild löste sich auf. »Wieder diese alte Geschichte, Ptoriss?«
»Exakt. Genau das, was viele andere auf vielen anderen Polyport-Höfen ebenfalls aussagten.«
Der Frequenzfolger ließ den Blick über die Ebene schweifen. »Wie viele Darturka sind inzwischen versammelt?«
»Etwas mehr als achttausend«, antworte die Kriegsordonnanz.
Das Heer war beachtlich. Noch standen die drei Meter großen Kriegskolosse aufrecht; sobald Kharonis jedoch den Befehl gab, würden sie sich auf alle viere herablassen und losrennen, um ihre Gleiter und Schweber zu bemannen.
Noch gab es allerdings keinen Grund dazu, denn die Verbindung zum Ziel war blockiert.
Blockiert!
Wie war dies nur möglich?
Kharonis ging an der ersten Reihe der Klonsoldaten vorüber und nahm ihre Huldigungen entgegen, bis er schließlich die drei Okrivar erreichte, die unablässig an der Lösung des Problems arbeiteten.
Die zierlichen Geschöpfe trugen dunkelgrüne, rundum geschlossene Anzüge. Als Wasserstoffatmer waren sie auf diesen Schutz angewiesen, solange sie sich nicht in ihren Spezialunterkünften aufhielten. Ihre Arme teilten sich unterhalb des Ellenbogengelenks und liefen in jeweils zwei Händen aus, die sich unablässig bewegten.
Die Techniker nahmen Schaltungen und Messungen vor und bedienten Geräte, deren Zweck Kharonis nicht einmal erahnte. Die Technologie der Polyport-Höfe war ihm stets ein Rätsel gewesen.
»Wann wird die Verbindung endlich wieder offen stehen?«,