in Schrei riss mich aus meinem unruhigen Schlaf. Aufrecht saß ich in dem Bett, das vor einer Woche noch meinem Vater gehört hatte, und lauschte in die Dunkelheit. Mein eigener Herzschlag war lauter als alles andere. Wer hatte geschrien? Oder war es am Ende nur meine Angst, die mir einen Streich gespielt hatte? Seit meiner Krönung am vergangenen Sonntag fand ich keine Ruhe mehr. Mein Körper stand wie unter Strom.
So viele Menschen wollten plötzlich etwas von mir und ganz gleich, welche Entscheidungen ich auch fällte, es waren immer die Falschen. Ich konnte es nicht allen recht machen, obwohl ich mir große Mühe gab, meinen Freunden mit Wertschätzung und meinen Feinden mit Milde zu begegnen – anders als mein Vater es mich gelehrt hatte.
Eduard, der Mörder, wie er von vielen genannt wurde, begegnete allen gleichermaßen mit Misstrauen. Zeit seines Lebens rechnete er mit Verrat und versuchte, irgendwelche Komplotte gegen sich aufzudecken, von denen es ungewiss war, ob sie überhaupt bestanden. Er ließ Menschen nur wegen eines Verdachts oder der Anschuldigung eines anderen hinrichten.
So hatte ich nie werden wollen. Aber seitdem ich auf seinem Thron saß, verstand ich ihn besser. Es hieß, dass der Winterkönig von allen geliebt würde, aber mir schlug nur Missgunst entgegen, getarnt hinter Lügen.
Vielleicht lag es daran, dass ich eine Frau war – die erste Herrscherin. Vielleicht erging es allen am Anfang so und ich musste mich erst beweisen. Vielleicht konnten sie mich nicht akzeptieren, weil mir, ihrer Ansicht nach, die Gene zum Regieren fehlten. Aber ich war nun einmal die Tochter Eduards – sein einziges lebendes Kind. Die Krone stand mir dem Gesetz nach zu, auch wenn ich sie nie gewollt hatte. Trotzdem wies ich meine Pflicht nicht von mir, denn ich hatte nun die Verantwortung für ein gewaltiges Reich. Das Volk brauchte eine Winterkönigin, auf die es sich verlassen konnte.
Da waren Schritte auf dem Korridor und die Geräusche eines Handgemenges. Ich hatte mich nicht geirrt!
Eilig stieg ich aus meinem Bett und rannte zum Schreibtisch. Unter dem Teppich befand sich eine Falltür, die zu einem Tunnel unter dem Palast hindurch ins Freie führte. Mein Vater hatte ihn nach dem Anschlag bauen lassen, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte und zu dem Verhängnis meines Bruders geworden war.
Mit ganzer Kraft zog ich an dem Ring, der die Luke verschloss, aber konnte sie nicht öffnen. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es eines Schlüssels bedurfte, den ich nicht besaß. Mein Vater hätte ihn mir, im Angesicht seines Todes, überreichen sollen, aber bis zum Schluss hatte er sich an sein Leben geklammert und dessen Ende nicht einsehen wollen. Er hatte sich stur der Tatsache verweigert, dass ich seinen Platz einnehmen würde.
Der Tumult vor meiner Tür wurde lauter und in meiner Verzweiflung floh ich in das nächstbeste Versteck – hinter den Vorhang.
Keine Sekunde später stürmten Männer mit Säbeln und Kerzen in den Händen ins Zimmer. Sie stürzten zu dem leeren Bett.
»Sie ist fort«, rief einer von ihnen.
Andere durchwühlten die Laken und schlitzten mit ihren Klingen die Kissen auf, i