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Maria hatte Angst.
Und das lag nicht an den Toten. Der, der ihr Schrecken einflößte, war durch und durch lebendig.
Trotzdem würde sie es durchziehen. Heute war der Tag, an dem sie den Schlussstrich setzen musste.
Ihr Handy schnatterte. Erleichtert nahm Maria das Gespräch entgegen.
»Hallo, dumme Gans«, begrüßte sie ihre Cousine.
»Hallo, blöde Ziege«, antwortete Floriana keineswegs beleidigt.
Seit ihrer Kindheit waren sie füreinander jene Gestalten aus dem Tierreich, die oft als Schimpfwörter herhalten mussten. Und als die Handyhersteller begannen, individuelle Klingeltöne zu entwerfen, hatten Maria und Floriana ihre Freude daran, sich einander mit Ziegenmeckern und Gänseschnattern bemerkbar zu machen.
»Hast du es endlich hinter dich gebracht? Wenn nicht und wenn du das nicht mehr willst, steh ich dir trotzdem bei.«
Floriana konnte Maria beruhigen, wie kein anderer es vermochte. Sie waren im selben Jahr geboren, und ihre Mütter waren Schwestern, die Brüder geheiratet hatten. Ihre enge Verbindung, so meinten sie, ging darauf zurück, dass sie von Rechts wegen Zwillinge hätten sein müssen. Oft standen sie zusammen vor dem Spiegel und musterten sich.
»Wie ist es möglich, so unterschiedlich auszusehen und so gleich zu ticken?«, fragte Floriana dann und zerzauste ihr kurz geschnittenes hellblondes Haar, das kreuz und quer vom Kopf abstand. Maria lachte dazu und schüttelte ihre braunen langen Locken.
»Nein, Gans, lieb von dir. Doch diesmal ziehe ich es wirklich durch. Ich bin es meinem Stolz schuldig.«
»Vielleicht aber auch deiner Verliebtheit in den Mann aus dem Norden, Ziege?«
Vor einiger Zeit hatte sie bei einem Kurzurlaub mit ihrer Cousine auf dem italienischen Festland, weit weg von Sizilien, ihre große Liebe kennengelernt. Maria war vom ersten Moment an hin und weg gewesen von ihrem sanften »Mann aus dem Norden«, wie sie ihn seither nannten. Er passte so gar nicht in ihr Beuteschema, befand Floriana. Damit meinte sie wohl, dass er ihrem Dauerfreund, mit dem sie seit Jahren zusammen war und von dem sie sich nicht lösen konnte, nicht unähnlicher sein könnte. Und es stimmte. Der Mann aus dem Norden unterschied sich in jeglicher Hinsicht von Salvatore.
Floriana hatte ihre Zuneigung zu ihm eine Weile salopp als Schwärmerei abgetan, erkannte dann aber die tiefen Gefühle, die Maria für ihn hegte. Dabei war Maria in den ersten Monaten selbst nicht ganz sicher gewesen, ob diese Liebe eine Zukunft hatte. Natürlich gab es die Befürchtung, dass es ein Fehler wäre, ihr gewohntes Leben kurzerhand nach Norden zu verlegen, um es mit einem Mann zu teilen, den sie nur wenige Tage kannte. Doch nach unzähligen Telefonaten und zwei heimlichen Wiedersehen hegte Maria keinerlei Zweifel mehr. Sie würde ihren Freund verlassen und damit wohl auch Sizilien für immer den Rücken kehren.
Selbstverständlich hatte sie Angst gehabt, denn sie wusste um den archaischen Zorn ihres Dauerfreundes, wenn er sich verraten fü