: Patricia Koelle
: Die Hoffnung der Marienkäfer Ein Inselgarten-Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104914251
: Die Inselgärten-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 512
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Marienkäfer lehren uns, geduldig zu sein. Egal, wie kalt und dunkel es ist - sie warten einfach auf eine bessere Zeit.« Während eines Kuraufenthalts beginnt Leonie einen Webkurs - und bald darauf, ihren Alltag umzukrempeln. Denn nach vielen beruflichen Jahren am Schreibtisch löst die praktische Arbeit mit den Händen etwas in ihr aus. Kaia hadert mit ihrem Studium. Ihre Freundin Remy Kreyhenibbe möchte sie aufheitern und bittet sie darum, ein Haus auf der Insel Poel anzuschauen, das den Inselgärten gespendet worden ist. Kaia macht sich auf den Weg und fühlt sich erst einmal unendlich einsam. Als Leonie und Kaia aufeinandertreffen, ahnen die beiden Frauen noch nicht, welche Möglichkeiten ihnen diese Begegnung eröffnet, und dass es manchmal besser ist, das Leben auf sich zukommen zu lassen. Der finale Band der Inselgärten-Reihe von Patricia Koelle - über die Hoffnung, dass alles gut werden wird Dieses Buch ist ein in sich geschlossener Roman, den man eigenständig lesen kann.

Patricia Koelle ist eine Autorin, die in ihren Büchern ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften Planeten zum Ausdruck bringt. Bei FISCHER Taschenbuch erschienen, neben Romanen und Geschichten-Sammlungen, die Ostsee- und Nordsee-Trilogie, die Inselgärten-Reihe sowie die Sehnsuchtswald-Reihe. ?Flaschenpost vom Leben? ist der erste Band ihrer Glückshafen-Reihe.

1Das Leben weben


Leonie bemerkte erst jetzt, dass sie vor Kälte ganz steif geworden war. Vor allem im Nacken fror sie. »Ich hätte einen wärmeren Schal mitnehmen sollen«, sagte sie zu einer Blaumeise, die erschrocken aufflog, als Leonie von der Bank aufstand. Sie wusste nicht, wie lange sie da allein im launigen Vorfrühlingswind gesessen hatte. Nach dem Vorfall am Morgen immer noch tief in Gedanken, spazierte sie durch den kleinen Ort zurück, den sie sich bis jetzt kaum angesehen hatte. Vor einem Schaufenster blieb sie stehen, unwiderstehlich davon angezogen.

Eine Decke in warmen Rot- und Orangetönen war darin über einen alten Schaukelstuhl gebreitet. Ein Spinnrad stand daneben, und an einer gespannten Schnur hingen Geschirrtücher, eine Weste und ein Poncho, alle mit bemerkenswert schönen Mustern und in klaren, leuchtenden Farben, von denen sie sich sogar hier draußen gewärmt fühlte. Leonie blickte auf das Schild über der Tür.

Handweberei

Eine dunkle Erinnerung flog ihr zu, an den Werkunterricht in der Schule. Ein kleiner hölzerner Webrahmen, ein »Schiffchen«, das sie durch Fäden geschoben hatte, eine Walze, die man drehte und die die Schnüre eine Art Tanzschritt vollführen ließ. Buntes Garn, dessen Reihen sich zu einem Stück Stoff zusammenfügten, das sich gut anfühlte und irgendwann zu einem schiefen Topflappen wurde, den ihr Vater in Ehren hielt.

Leonie öffnete die Tür, an der eine Glocke freundlich bimmelte. Hier würde sie sich aufwärmen können, ein wenig umsehen, vielleicht sogar einen Schal erwerben. Sie hatte sich lange nichts mehr gekauft, wozu auch? Es hatte gar keinen Grund dafür gegeben, fiel ihr mit einem kleinen Schrecken auf. Nichts hatte ihr mehr viel bedeutet.

 

Eine zierliche Frau saß an einem Webstuhl, der Leonie gewaltig erschien. An den Wänden und auf Tischen hingen und lagen noch mehr Tücher, Stoffe, Decken, Jacken. Die Frau blickte auf und lächelte Leonie zu. »Guten Tag, kann ich etwas für Sie tun?«

»Guten Tag! Vielen Dank, aber ich möchte mich nur umschauen. Es sieht alles so schön aus.« Leonie wusste gar nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte. Am liebsten hätte sie alle Stoffe berührt.

»Gern, lassen Sie sich Zeit. Und Anfassen ist erlaubt.« Die Frau nickte ihr ermutigend zu. »Sogar erwünscht.«

Es roch gut hier, nach Wolle, Leinen und anderen Dingen, und die Geräusche, die der Webstuhl machte, waren anheimelnd. Fast als würde er etwas erzählen, in einer Sprache, die Leonie nur noch nicht verstand.

Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass Stoffe gar nicht glatt sind. Viele davon hatten Erhebungen, Strukturen, die man mit geschlossenen Augen spüren konnte. Wie kleine Landschaften. Sie befühlte härtere Stoffe und anschmiegsame, leichte und schwere, feste und lockere, mit Fransen und ohne. Sie sah, wie das Licht die Farben veränderte, wenn draußen eine Wolke über die Sonne glitt oder sie unter dem künstlichen Licht in der hinteren Ecke lagen. Sie betrachtete genauer, wie die Fäden verschränkt waren, versuchte zu entziffern, wie die Muster entstanden sein konnten. Dabei fiel ihr auf, dass sie da draußen im Park auf der Bank vorhin genau dasselbe versucht hatte: herauszufinden, wie die Muster in ihrem Leben zustande gekommen waren, und die Knoten darin. Und die Fehler, so wie bei diesem Geschirrtuch, dessen Preis heruntergesetzt war, weil beim Weben ein roter Faden nicht über, sondern unter dem gelben verlief. So war das mit den Fäden, mit den roten sowieso. Man verlor sie manchmal aus den Augen.