: Jaime Begazo
: Die Zeugen Roman
: Kupido Literaturverlag
: 9783966750875
: 1
: CHF 10.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jaime Begazo begegnet in seinem prämierten Debütroman dem Autor, den man seit Jahrzehnten für den Inbegriff der Literatur hält: Jorge Luis Borges. Der Leser wird Zeuge einer Begegnung mit dem gealterten Meister, der die üblichen Fragen gekonnt pariert, bis Begazos Alter Ego ein Detail aus 'Emma Zunz' anspricht. Darauf schnürt Begazo-Borges die berühmte Parabel auf und führt uns noch einmal in die Labyrinthe von 'Aleph' zurück.

Jaime Begazo, 1957 in Lima, Peru, geboren und in Mamaroneck, NY, zuhause, erhielt 2005 für seinen Debütroman 'Los testigos' den Juan-March-Cencillo-Preis für Kurzromane.

I

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Das letzte Mal sah ich Borges Mitte April 1986 in seinem Apartment in Genf, zwei Monate vor seinem Tod. Eine Woche zuvor hatte ich ihn angerufen. Ich wollte ein Treffen vereinbaren. Etwas Entscheidendes war mir in einer seiner frühen Erzählungen aufgefallen. María Kodama, seine ihn stets umsorgende Frau, erklärte mir, dass er sich von einer kleinen Erkältung erhole, willigte aber ein, als sie meinen Grund erfuhr. „Er würde sich gern am folgenden Wochenende mit Ihnen unterhalten. Passt Ihnen Samstag am frühen Abend?“, fragte sie mich. Ich erwiderte, es komme mir sehr gelegen. Es war ein offenes Geheimnis, dass Borges keinen Besuch mehr empfing, seit sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechtert hatte. Deshalb überraschte es mich, dass sie das Treffen so schnell anberaumte. Dann sagte sie noch, dass sie ihm erst vor wenigen Tagen einen meiner Artikel über die neueste Ausgabe seinerGesammelten Werke vorgelesen habe, leider ohne darauf einzugehen, ob ihm die Ausführungen gefallen hatten oder nicht. Das Entscheidende war, dass er bereit war, mich zu empfangen.

Im Verlauf der wenigen Tage, die mir bis zur Abreise verblieben, stellte ich sicher, dass alle meine Studenten erfuhren, dass ich am kommenden Samstag Jorge Luis Borges treffen würde. Ich kann nicht leugnen, dass ich vor Stolz praktisch die ganze Welt umarmen wollte. Meine Kollegen vom Seminar für Literatur, mit denen ich seit Jahren zusammenarbeite, beäugten mich mit einem gewissen Neid, schließlich hat man nicht alle Tage ein Treffen mit dem Inbegriff der Literatur.

Zwei Gastprofessorinnen erschienen einen Tag vor meiner Abreise in meinem Büro; sie trugen beide Bücher unter dem Arm, die ich sofort erkannte, und fragten, ob es möglich wäre, ihre Exemplare von Borges signieren zu lassen. „Wir werden Ihnen ewig dankbar sein, bitte“, sagten sie fast gleichzeitig und ihre Gesichter hörten nicht auf zu strahlen. Ich wusste nicht, wie ich hätte Nein sagen können, das heißt, ich wusste nicht, wie ich ihnen erklären sollte, dass Borges vor vielen Jahren erblindet war, dass er selbst mithilfe eines Stocks kaum aufrecht stehen, er vermutlich nicht einmal einen Füller halten, geschweige denn schreiben konnte, und schließlich, dass ich mich für eine derartige Posse nicht hergäbe und sie beide, zumal sie Literaturprofessorinnen waren, mehr Acht geben sollten, ihre Unwissenheit zu verbergen. Ich sagte allerdings nichts von alledem, sondern lächelte in die strahlenden Gesichter zurück und erklärte ihnen, ich würde mein Möglichstes tun, ohne irgendetwas zu versprechen.

Wieder allein schaute ich in die Bücher, ich hatte mich