: Silvan Aeschlimann
: Ungehört Roman
: Nydegg Verlag
: 9783905961140
: 1
: CHF 12.60
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: Erzählende Literatur
: German
: 350
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der 18-jährige John White fühlt sich verpflichtet der Beste zu sein, egal ob in Schule oder Sport. Als er die kranke Zoi kennen lernt, wird er sicherer, wagt, den aus Leistung aufgebauten Schutzpanzer ansatzweise abzulegen. Diese Beziehung öffnet John die Augen für Probleme in seinem sozialen Umfeld. Er erkennt, wie sehr sein bester Freund Tom Wilson unter dem Druck seines Vaters leidet. Dieser ist Geschichtslehrer am Crossroad-Gymnasium, wo John und Tom gemeinsam seine Klasse besuchen. John will Tom aus dessen Bedrängnis befreien und provoziert einen Machtkampf mit Toms Vater. Als Schüler ist John am kürzeren Hebel. Er wendet sich an den Schuldirektor, doch John bleibt ungehört. Frustriert muss er hinnehmen, dass er keine Chance hat Tom zu helfen. Nach Turbulenzen in der Beziehung mit Zoi dringt John endlich Zois Krankheit ins Bewusstsein und er schafft es, ihr Vertrauen zu gewinnen. Diese Verbindung entfacht in Tom eine grenzenlose Eifersucht, die in Hass umschlägt. Genauso hasst John Toms Vater. Unaufhaltsam spitzt sich die Lage zu.

Montag, 5. September


«Der Zweite Weltkrieg ist eine komplizierte Angelegenheit, die in ihrer Vielschichtigkeit nur von wenigen begriffen wird.» John sass gelangweilt auf seinem Stuhl und musterte die Klasse, während Mr. Wilson verzweifelt versuchte, die Aufmerksamkeit der Schüler auf sich zu ziehen. «Die Eckpunkte des Krieges müssten Ihnen eigentlich bekannt sein. Obwohl Japan schon vorher kriegerische Aktivitäten in China betrieb, bezeichnen wir den Beginn des Zweiten Weltkrieges doch mit dem Angriff Deutschlands auf Polen am 1. September 1939. Am 3. September erklärten Frankreich und Grossbritannien Deutschland als Reaktion auf den Angriff den Krieg.» John lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss für einen Augenblick die Augen. Sein weisses Hemd liess seinen zierlichen Körper schmaler wirken als er in Wirklichkeit war. Sein rostbraunes Haar brachte ein bisschen Farbe in seine Erscheinung. Die schwarz-grauen Jeans, die er trug, waren nicht zufällig gewählt. Sie fielen nicht im geringsten auf, waren aber auch nicht altmodisch. Sie passten exakt an seinen Körper und liessen keine Frage darüber aufkommen, ob er aus einer gut betuchten Familie stammte. John war jeden Tag ähnlich gekleidet: stilvoll, elegant und unauffällig. Schlicht und einfach makellos, ohne sich aber zu stark von den Schnitten der Schuluniform zu unterscheiden, so dass es niemandem auffiel.

Die Müdigkeit füllte sofort seinen ganzen Körper. Wie ein Schleier legte sie sich auf seine Brust, wollte ihn dazu bringen, seine Augen geschlossen zu halten. John atmete tief ein, stemmte sich gegen den bequemen Wunsch, einfach nur zu sein und riss seine Augen wieder auf. «Hitler hatte einen Pakt mit Stalin geschlossen, deshalb drohte ihm von Osten her keine Gefahr. Russland rang nach langem Kampf am 13. März 1940 Finnland nieder, das seine Selbständigkeit behalten konnte, aber grosse Gebiete an die Russen abtreten musste. Bis in den August 1940 eignete sich Russland praktisch gewaltlos die chancenlosen baltischen Staaten an, wie es mit Deutschland im geheimen Zusatzprotokoll abgemacht worden war. Die beiden Diktatoren Hitler und Stalin hatten sich darin die Ostgebiete Europas aufgeteilt. Deutschland setzte nach der Eroberung Polens den Siegeszug fort und rang Dänemark in einem Tag und Norwegen in zwei Monaten nieder.» John beobachtete, wie Mr. Wilson eine kurze Pause machte, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte hinterlassen hatten. Jedem versuchte er unter Druck Sachen beizubringen und kümmerte sich nicht um Probleme, die dabei auftraten. Wie froh war er, nicht sein Sohn zu sein. Mitfühlend betrachtete er den Jungen, der auffällig gerade neben ihm auf seinem Stuhl sass und aufmerksam nach vorne starrte. Tom war für ihn mehr als nur ein Kamerad, er war für ihn ein Freund, einer, mit dem man über alles reden, dem man auch Schwächen unbesorgt anvertrauen konnte. Aber an einem Montagmorgen wie heute, in der ersten Stunde, brachten Tom auch seine besten Freunde nichts. Er war hilflos ausgeliefert. Die Tischplatte, in die sich seine Finger bohrten, konnte ihm keinen Halt geben. Viel zu sehr waren seine Gedanken mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Nicht mit dem, was sein Vater der Klasse einzutrichtern versuchte. Er war schon weiter, viel weiter. Es war seine einzige Möglichkeit. Er musste einen Schritt, einen Auge