Ich hasse Aufstehen
Plötzlich bin ich allein vor dem Tor. Ich springe höher, als ich je zuvor gesprungen bin, lege alle Kraft in den Wurf, sehe den Ball aufs Tor fliegen: rechter Innenpfosten, linker Innenpfosten, Netz. Das Siegtor. Gewonnen. Ja, ja, ja! Wir sind Weltmeister. Die Zuschauer in der Halle toben, trampeln mit den Füßen, der Schiedsrichter pfeift ab und pfeift und pfeift.
»Paula! Bist du taub?« Mit wenigen Schritten ist meine Mutter an meinem Bett und schlägt mit Schwung auf den Wecker. »Es klingelt seit zehn Minuten. Los jetzt, komm hoch, es ist gleich sieben Uhr.«
Ich bin immer noch im Siegestaumel und antworte nicht. Ihre Stimme ist jetzt ein Zimmer weiter. Ich lasse meine Augen zu.
»Anton. Aaanntooon.«
Mein kleiner Bruder hat anscheinend auch keinen Bock, sich aus seinen Träumen zu verabschieden. Leider ist meine Mutter zäh.
»Anton, hallo, aufwachen. Die Sonne scheint.«
Widerwillig mache ich die Augen auf und sehe mich um. Statt Tribünengesängen höre ich Antons Brummen, statt Trikot trage ich ein geringeltes T-Shirt und statt Weltmeister bin ich ein Handballtalent ohne Verein.
Seit zwei Wochen wohnen wir in Hamburg. Mein Vater ist jetzt irgendeine Art Chef in der Zentrale seiner Bank geworden, ich habe extra nicht genau hingehört, was er da nun soll, es ist mir auch total egal.
Weil mein Vater nun Karriere macht, muss die ganze Familie umziehen,100 Kilometer zwischen Arbeitsplatz und Familie sind angeblich zu viel. Das sagt meine Mutter, die so tut, als wäre der Umzug das Beste, was uns allen passieren könnte. So ein Quatsch.
Ausgerechnet Hamburg! Ich habe tagelang im Internet gegoogelt, Hamburg ist in der Verbrechensstatistik ganz weit oben. Egal was, Morde, Diebstähle, Entführungen, Erpressungen; Hamburg ist immer dabei. Ich habe meinen Eltern mitgeteilt, in was für eine kriminelle Gegend sie uns verschieben wollen, mir wäre es ja egal, aber Anton, der freundliche und arglose Anton ist schließlich erst acht Jahre alt und somit doch eine ganz leichte Beute für jeden Verbrecher. Meine Eltern haben behauptet, das neue Haus liegt in einer sehr sicheren Gegend, ich sollte mir mal keine Sorgen machen. Gut, habe ich gesagt, dann will ich auch keine Heulerei, wenn Anton verschleppt wird. Ich sparte mir die Information, dass Dieter Bohlen ebenfalls in Hamburg wohnt, für später auf. Meine Mutter hasst ihn.
Meine Mutter steht wieder in meiner Tür. »So, Anton ist wach. Du liegst ja immer noch im Bett. Komm jetzt frühstücken!«
Sie verschwindet, ich setze mich auf und sehe Anton im Flur. Seine Haare sind völlig verstrubbelt, seine Brille sitzt schief. Er lächelt mich an. Wenn er dann mal aufgewacht ist, hat er sofort gute Laune. Er wird nur nie schnell wach.
»Guten Morgen, Paula.« Anton geht nach unten.
Ich glaube, er hat gar nicht mitbekommen, dass wir umgezogen sind. Ich muss ihm das noch mal deutlich machen. Er kann ruhig auch mal ein bisschen maulen.
Als ich in die Küche komme, kotzt Mr Bean gerade auf den kleinen neuen Küchenteppich. Meine Mutter stürzt sofort hin und versucht, mit der einen Hand den Kater wegzuschieben und mit der anderen den Teppich zu retten. Vergeblich. Mr Bean reihert in Ruhe zu Ende und springt danach auf die Fensterbank. Der Teppich ist wohl hin.
»Wer hat denn den Kater reingelassen?« Meine Mutter ist sauer und fixiert mich.
Ich streiche Mr Bean über den Kopf, er schnurrt und lässt sich auf die Seite fallen. »Man sollte Katzen nicht verpflanzen, sie ertragen keinen Ortswechsel und rächen sich auf ihre Weise. Sie vergeben das nie.«
Anton sieht mich mit großen Augen an. »Und du meinst, Mr