: Philipp Gurt
: Bündner Alptraum Kriminalroman
: Emons Verlag
: 9783960416210
: 1
: CHF 7.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 288
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein spannungsgeladener Heimatkrimi inmitten der unerbittlichen Schönheit der Bündner Alpen. Spätsommer in den Alpen: Drei junge Berlinerinnen nehmen eine Auszeit und bewirtschaften eine Saison lang eine Alp in Graubünden. Jede von ihnen möchte Abstand gewinnen und trägt doch ihre ganz eigene Geschichte mit auf den Schamserberg. Als eine Schlechtwetterfront heraufzieht und sich dichter Nebel auf die abgeschiedene Landschaft senkt, stellen die drei Frauen fest, dass sie in der Einsamkeit nicht so allein sind, wie sie dachten ...

Philipp Gurt wurde 1968 als siebtes von acht Kindern in eine Bergbauernfamilie in Graubünden geboren. Er wuchs in verschiedenen Kinderheimen auf. Früh begann er mit dem Schreiben. Zwölf seiner Bücher wurden bisher veröffentlicht, darunter mehrere Schweizer Bestseller. 2017 erhielt er den Schweizer Autorenpreis. Er lebt in Chur im Kanton Graubünden.

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Die Weite der baumlosen Moorlandschaft der Alp Nurdagn lag verhüllt in dichte Nebelschwaden. In der Windstille hingen sie auch weiter oben fest, um die kronengleich erhabenen, schroff gezackten Felswände der über dreitausend Meter hohen Grauhörner, als stünde die Zeit still. Diffuses Licht füllte an diesem vorletzten Spätnachmittag im August die triefend nassen Alpweiden, in denen das Vieh dem Wetter trotzend gelassen weidete – dunkle, kantige Tierkörper, als wären es Findlinge, die sich hin und wieder unmerklich verrückten, standen in der Landschaft verteilt. Nur das unrhythmische Geläut der grossen und kleinen Schellen, wenn sie ihre schweren Grinder auf und ab bewegten, um schnaubend zu grasen, klang hell und dunkel mitsamt dem Rauschen der vielen vom Nebel verschluckten Bäche aus diesem hervor.

Bei dieser Wetterlage waren längst alle Himmelsrichtungen verloren gegangen, nur das Oben und Unten blieb. Sogar jene, die sich in diesen Bergen auskannten, als wäre es ihr Hosensack, und um die Gesetzmässigkeiten Bescheid wussten, die sich mit zunehmender Höhenlage veränderten, kamen an solchen Tagen schon mal vom Weg ab – auch dann, wenn sie sich an markanten Steinen, einem schiefen Zaunpfahl, einer kleinen Senke oder an einem der Bachläufe zu orientieren versuchten.

Gion Duschletta zwängte sich mühsam hinters Steuer seines alten weinroten Subaru Justy, der vor dem von der Sonne dunkel gegerbten Stalltor stand, dessen Holz durch die Nässe nun schwarz wirkte.

Nach dem zu ruppigen Anfahren, das ihm einen zünftigen Zwick im Kreuz bescherte, griff er nach der blauen Melkkappe auf seinem Kopf und richtete diese. Aus dem alten Kassettenradio ertönten die Bündner Spitzbueba mit einem lüpfigen Ländler.

Das auf eintausendfünfhundert Metern gelegene und nur noch zwanzig Seelen zählende Casti verliess er um kurz nach siebzehn Uhr. Bald verschluckte der Nebel die wenigen Häuser hinter ihm, die sich in der Nähe der Felswand einer Horde Schafe gleich scharten, als bedrohe ein Raubtier selbige.

Das einen Steinwurf oberhalb gelegene Kirchlein, das mittig auf dem schmalen, nasenähnlichen Felsvorsprung über dem Abgrund thronte und in dem er einst seine Brida geheiratet hatte, war seit seiner Kindheit nie mehr an einem Sonntag gefüllt gewesen – nicht mal an Beerdigungen. Die wenigen harthölzernen dunkelbraunen Bankreihen darin leerten sich von Jahr zu Jahr, als fiele hin und wieder einer der Kirchgänger nach einem der Gottesdienste ins nahe Tobel, dass ihn der Fundogn mit seinem kalten Wasser hinfortriss.

Während Duschletta auf der schmalen Alpstrasse und bei zunehmend schlechterer Sicht zur Alp Nurdagn hochfuhr, hörte er in Gedanken nochmals die Stimme von Bettina Stenlizer, einer der jungen deutschen Frauen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, den Alpsommer als Sennerinnen hier oben zu verbringen. Er selbst war zu alt dafür, nicht nur, weil ihn das verreckte Kreuz seit Jahren plagte. Sein Sohn wie seine Tochter wohnten im Unterland und liessen sich nur noch zu den Festtagen und am Todestag ihrer Mutter hier oben blicken. Im letzteren Fall legten sie eine Handvoll Blumen auf das schmale Grab mit dem Holzkreuz und der kleinen weissen Madonna darunter. Zum B