: Volker Kaminski
: Der Gestrandete
: Lindemanns
: 9783963080685
: 1
: CHF 8.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 276
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sascha Fehrmann ist alarmiert, als er einen Anruf seiner Tochter bekommt. Ein Fremder habe sich ins Haus geschlichen. Der Eindringling entpuppt sich als Saschas früherer Bekannter, der nach einem langen Auslandsaufenthalt nach Karlsruhe zurückgekehrt ist. Fortan drängt er sich geschickt in das Leben­ der Fehrmanns, schließt sich sogar der Theatergruppe der Ehefrau an. Doch Sascha ist misstrauisch und nach und nach findet er erschreckende Details aus der dunklen Vergangenheit des vermeintlichen Freundes. Die Wahrheit stellt ihn schließlich vor eine schwierige moralische Frage. Die Presse über Kaminski: 'Kaminski versteht es, mit den Erwartungen des Lesers zu spielen, immer neue Irritationen herzustellen.' Ute Büsing, rbb-Inforadio 'Sein Schreibstil ist flott und flüssig, sein Sinn für Dramaturgie glänzend.' Michael Hübl, BNN 'Geschickt konstruiertes Stück Spannungsliteratur, dessen Plot an (...) Patricia Highsmith erinnert.' Joachim Feldmann, Am Erker

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Natürlich nahm ich an, dass die Angelegenheit damit erledigt war. Ich hatte nicht die Absicht, Frank Kalina noch einmal wiederzusehen. Zwei Wochen lang sprachen wir kein Wort über ihn. Eines Freitagabends, als wir zu zweit beim Essen saßen, überraschte mich Eveline mit der Mitteilung, sie habe Frank probeweise in ihre Gruppe aufgenommen.

Ich war sprachlos. „Was? Er ist wirklich zu euch gekommen? Wie hat er euch denn gefunden? Woher hatte er die Adresse eures Proberaums?“

„Er hat hier angerufen und eine Nachricht auf Band hinterlassen. Wir finden ihn übrigens alle sehr überzeugend und begabt. Ein Glücksfall für unsere Gruppe.“

„Das ist doch ziemlich dreist von ihm, findest du nicht?“

„Warum denn?“

„Nach dem gespenstischen Auftritt, den er bei uns hingelegt hat!“

Sie antwortete nicht und widmete sich in aller Ruhe ihrem Salatteller.

Eveline leitete die Theatergruppe seit ihrer Gründung vor sieben Jahren. Sie hatte neben ihrem Beruf als Physiotherapeutin eine neue Herausforderung gesucht und sie in der Theaterarbeit gefunden. „Die Compagnie“ war eine unabhängige Theatergruppe, die sich in Karlsruhe bereits einen Namen gemacht hatte. Sie spielten überwiegend zeitgenössische Kriminalstücke und Eveline übernahm selbst Rollen und führte meist Regie.

Sie hatten einen Probe- und Aufführungsraum mit angeschlossener Bar; der Zugang führte über einen hübsch gepflasterten Hinterhof. Das Ganze befand sich in einem Altbauensemble in der Südstadt. Eveline hatte über ihre Eltern einen persönlichen Kontakt zum Vermieter hergestellt, dem die Kultur in Karlsruhe am Herzen lag. Für die Miete des Proberaums und die Kosten der Aufführung kam hauptsächlich Eveline auf.

Zu Evelines Theaterarbeit habe ich eine klare Meinung: Ich finde sie großartig. Wenn ich sie auf der Bühne sehe und miterlebe, wie sie mit ihrer Rolle verschmilzt, entdecke ich jedes Mal eine neue Facette ihrer Persönlichkeit. In letzter Zeit hatte es jedoch einen Engpass gegeben, weil ein wichtiges Mitglied weggezogen und das neueste Vorhaben im Sande verlaufen war. Eveline suchte händeringend nach begabten Laienschauspielern, hatte aber nicht die Zeit Annoncen aufzugeben. So war es für sie natürlich ein Lichtblick, dass Frank aufgetaucht war.

„Ich fand sein Verhalten jedenfalls merkwürdig“, sagte ich. „Man dringt nicht in fremde Häuser ein. Was wollte er überhaupt in unserem Keller?“

Sie schaute eine Weile vor sich hin.

„Er ist ein Minimalist.“

„Was meinst du?“

„Er bringt mit wenigen Mitteln sehr viel zum Ausdruck. Zum Beispiel einfach nur gucken. Das ist bekanntlich sehr schwer, und den meisten gelingt das nicht überzeugend. Gucken und dabei derselbe bleiben, der man ist. Frank ist authentisch durch und durch.“

„Woher weißt du das? Du hast ihn doch vermutlich noch nicht spielen sehen.“

„Es ist mir gleich aufgefallen, mir und auch den anderen. Chargieren ist leicht, Grimmassen schneiden, mit den Armen fuchteln. Aber einfach nur dastehen, blicken, ruhig sprechen, das erfordert mehr. Bei Frank passt alles zusammen, Körperbeherrschung, Stimme, Individualität.“