Mai 1974
Nebenan checkte die Crew ein. Lauter gut aussehende junge Leute in schicken Uniformen schlängelten sich lächelnd an uns Passagieren vorbei. Ich fing den Blick des Piloten auf, der mich amüsiert musterte. Ja, ich gebe es zu: Ich war schrecklich aufgeregt und schrecklich glücklich. Voller Reisefieber lief ich in meinen lässigen neuen Turnschuhen und meinen angesagten Schlaghosen vor dem Schalter auf und ab, während mein Vater sich noch um ein Upgrade in die erste Klasse bemühte. Von nun an würde sich mein ganzes Leben ändern. Besser gesagt: Es würde überhaupt erst richtig anfangen!
»Unsere Tochter hat ihr Abitur mit Auszeichnung bestanden, obwohl sie eine ganze Klasse übersprungen hat!«, musste meine Mutter laut herausposaunen. »Und da schenken wir ihr einen unvergesslichen Kalifornien-Aufenthalt!«
Ich spürte, wie ich bis zu den Haarspitzen errötete. Verlegen nestelte ich an den Zipfeln meiner vor dem Bauch gebundenen Bluse. Das hatte dieser schicke Pilot doch mit Sicherheit gehört! Und wie ich meine Mutter kannte, wollte sie sogar, dass er das hörte! Sie brachte es noch fertig, ihn aufzufordern, dass er mich zu sich ins Cockpit einlud! Ich sah, wie der schöne Pilot die Brauen hochzog. Er sah mir direkt in die Augen, und ich wollte den Blick nicht senken, also grinste ich schief zurück. Ach, dass Mütter so peinlich sein können! Was musste dieser Halbgott in Uniform denn von mir denken? Ich schob energisch das Kinn vor und beachtete ihn einfach nicht weiter.
Mit gönnerhafter Geste schob uns die Bodenstewardess die neuen Bordkarten herüber: »Na dann viel Spaß in Kalifornien, junge Dame! Wo geht es denn hin?«
»Santa Barbara«, platzte meine Mutter vor Mitteilungsdrang. »Da wohnt nämlich Thaddäus, unser Sohn! Er ist Banker, mit einer entzückenden Amerikanerin verheiratet und hat zwei hinreißende Kinder!«
»Mama!« Nun reichte es aber! Als wenn das hier eine Sau interessierte! Der Name Thaddäus war schon peinlich genug. Im Vergleich dazu konnte ich dankbar sein, dass ich Katharina hieß!
Um die Mundwinkel des schönen Piloten zuckte es, als er in seinem blütenweißen Hemd unterm tadellos sitzenden Jackett mit den vier goldenen Streifen auf der Schulter an mir vorbeiging, um seiner Berufung nachzugehen: nämlich uns, die Familie von Schenck, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu fliegen!
Und genau die wollte ich ausnutzen. Ich war siebzehn, und die Welt stand mir offen! Oh, ich freute mich so unbändig! Mindestens ein Jahr wollte ich bleiben. Nicht, dass ich was gegen meine Eltern hatte. Beileibe nicht. Aber ein Jahr Auszeit von ihnen – speziell von meiner Mutter – würde mir guttun. Ich meine, welche Siebzehnjährige braucht nicht ein Jahr Auszeit von ihrer Mutter? Ich würde richtig toll Englisch lernen. Und mich um Joey und Charly kümmern, meine süßen kleinen Neffen.
Meine Eltern würden mich fürs Erste begleiten und natürlich auch ein paar Tage bei Ted, Pam und den Kleinen bleibe