: Martin Mosebach
: Das Blutbuchenfest Roman
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446245389
: 1
: CHF 11.60
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mitten in der Stadt, im Garten unter der blutroten Buche, organisiert ein windiger Geschäftemacher ein teures Fest. Das ist der Auslöser für erotische Verwicklungen, Liebe, Betrug und Eifersucht. Der Erzähler, ein verbummelter Kunsthistoriker, verliebt sich in die zerbrechliche Winnie. Marusha, eine schillernde Figur, dient gleich mehreren Herren als Geliebte. Hochstapler treffen auf Kreative und Verliebte auf Verlassene. Bei allen aber putzt Ivana aus Bosnien, die ihren Kundenstamm energisch zusammenhält und auch auf dem Fest für Ordnung sorgen soll. Doch während die Kunden feiern, beginnt auf dem Balkan der Krieg. Martin Mosebach überrascht mit einem neuartigen Ton, wechselnd zwischen Komik und Härte, Ironie und Trauer.

Martin Mosebach, 1951 geboren, lebt in Frankfurt am Main. Er wurde u.a. mit dem Heimito von Doderer-Preis, dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie, dem Kleist-Preis, mit dem Georg- Büchner-Preis sowie 2015 mit der Goetheplakette ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen zuletzt Der Mond und das Mädchen (Roman, 2007), Stadt der wilden Hunde (Nachrichten aus dem alltäglichen Indien, 2008), Als das Reisen noch geholfen hat (Essays, 2011) und Das Blutbuchenfest (Roman, 2014).

Zweites Kapitel


Rettet Jugoslawien!
Solange ich Wereschnikow kannte, ließ er in seiner ausdrucksvollen, keineswegs gedämpften Suada stets eine Fülle großer Namen fallen, Leute, die mit ihm in beständiger freundschaftlicher Verbindung standen, jeden seiner Zeitungsartikel studierten und ihn wie einen Sohn und Bruder liebten. Boutros Ghali und Henry Kissinger waren nicht die kleinsten unter ihnen; als ich ihn bei Merzinger traf, hatte er, wie er fallenließ, gerade mit Jack Lang telephoniert und dessen»rückhaltlose Bewunderung für seine Arbeit« entgegengenommen – welche Art Arbeit, wurde mir nie wirklich klar, denn er war wohl, wenn ich das richtig sah, in keinerlei Apparat eingebunden; keine Universität, kein Institut, keine Redaktion besaß das Recht auf seine Mitwirkung; er war frei in der schönsten Weise, kein Galeerensklave wie der Normalmensch heutzutage. Bei Merzinger erschien er immer spät, stets von Maruscha begleitet; in dem meist bis zum letzten Platz gefüllten Lokal»machten sie Entrée«, um einen altmodischen, zu den beiden aber perfekt passenden Ausdruck zu gebrauchen. Wereschnikow mit seinem großen, bedeutenden, dabei durchaus hübschen Kopf – hübsch paßt nicht, ich weiß schon, hübsch ist zu diminutiv, es war eine männliche, eigentümlich tragische Schönheit um ihn. Er war nachlässig auf die englische Art gekleidet, mit großen alten Tweed-Jacketts und kamelhaarfarbigen Rollkragenpullovern, und eine würdige Folie, ein seriöser maskuliner Hintergrund für Maruscha – da kam ihm sogar zugute, daß er zugenommen hatte. Selbst bei Merzinger, wo die meisten Gäste an ihren Anblick gewöhnt waren, ließ sie, wenn sie sich zwischen den Tischen hindurchwand, die Gespräche in sich zusammensinken, für einen Augenblick nur, in dem die Männer sie aus den Augenwinkeln ansahen und die Frauen einenärgerlichen oder ironischen Blick auf ihre Begleiter warfen, die sich so wenig im Griff hatten.
An Wereschnikows Ernst kam diese Welle verhohlener Aufmerksamkeit aber nicht heran. Merzinger hielt im Vorraum der Küche stets ein Tischchen für besondere Gäste bereit, die das Vorrecht besaßen, nicht reservieren zu müssen. Dies Tischchen wurde dann irgendwo dazwischengezwängt. Niemals gesellte sich das Paar, das»hohe Paar« ist man versucht zu sagen, zu den Stammtischbrüdern am Eingang. Keiner der Herren wäre auf den Einfall gekommen, sie dorthin einzuladen, aber diskret begrüßt wurden die beiden. Wereschnikow nahm diese Grüße mit edler Schwermut entgegen, während Maruscha jedem, der ihr zunickte, ein Zauberlächeln schenkte. Die Bildschöne war gutmütig und frei von jedem Stolz; jeder Mann, den sie wiedergrüßte, durfte sich in der Vorstellung wiegen, es sei das einfachste Ding der Welt, mit ihr in ein Gespräch zu kommen, sowie der feierliche Beau an ihrer Seite einmal abwesend wäre. Sie hatte einen auffällig-unauffälligen Stil; zunächst hätte ich gar nicht sagen können, worin der bestand, dann achtete ich darauf, und es war geradezu zum Lachen: Alles an ihr war immer und unfehlbar sandfarben, in verschiedenen Tönungen freilich, keineswegs monochrom, das wäre zu durchschaubar gewesen; aber diese Vielzahl an immer neuen, immer flaumfrischen Mänteln, Hosen, Pullovern, Strickjacken, die ihren blühendweißen Körper mit weichen Wellen von Saharasand umgaben, die war schon verblüffend. Es war dann irgendwann auch klar und wurde von ihr in diesem Sinn sogar ausgesprochen, daß dieser viele seidige, kaschmirige, wollene Sand von ihr auf Wereschnikow hin komponiert war – die Frau an der Seite eines solchen Geistes hatte ihre Eleganz zu zügeln, unsichtbar zu machen. Sie durfte nicht schmuckbehängt wie die Madonna von Pompeji auftreten – ein Stil, der Maruscha eigentlich lag, nur eben nicht, wenn sie mit Wereschnikow war. Aber närrisch machen konnte einen die sandige Pracht in ihrer Gesetzmäßigkeit schon. Eine Beschränktheit kennt auch der Gescheiteste, so auch sie, die wahrlich keine dumme Frau war, wenn auch ungebildet, aber allein die selbstironische Offenheit, mit der sie das eingestand, hatte im Grunde schon etwas Gebildetes, mehr mußte gar nicht geleistet werden. Sie war mir die liebere von beiden, was vielleicht schon herauszuhören war. Wereschnikows vertrauter Umgang mit den Großen der Erde, den ich ihm von Herzen gönnte, hatte ihn in solche Höhen gehoben, daß die Lebenslasten von Zwergen wie mir ihm nur ein stummes Wiegen des Hauptes abforderten; dieser Mann mit seinen tausend Verbindungen war zu zerstreut, mich einmal irgendwo vorzustellen oder zu empfehlen oder nur einen Rat zu geben, wohin sich am klügsten zu wenden sei. Nun weiß jeder, daß die Welt des Geistes, in Deutschland jedenfalls, streng fraktioniert ist: Die Literaten verstehen nichts von Musik, die Musiker nichts von Malerei, und daß Wereschnikow sich inkompetent fühlte, einem stellungslosen Kunsthistoriker mit allerdings immerhin»Cum laude«-Promotion –»Tintoretto in den Dogentestamenten des Cinquecento« – weiterzuhelfen, durfte ich ihm nicht einmal verdenken. Ich bekam deshalb zunächst gar nicht mit, daß mich angehen sollte, was er weitschweifig als seine gegenwärtige Beschäftigung entwarf, die Vorbereitung eines großen Kongresses im Auftrag der Unesco, des deutschen Außenministeriums, derEU-Kommissionen und anderer hochmögender Institutionen: eine Tagung, die sich mit den Fundamenten der Gemeinsamkeit der feindlichen Parteien auf dem Balkan, genauer in der Republik Jugoslawien befassen sollte, friedensfördernd selbstverständlich, antiseparatistisch, den Status quo des gemeinsamen Staatswesens stärkend. Ich wußte gar nichtsüber Jugoslawien, erinnerte mich aber, daß uns auf dem Gymnasium von den Geschichtslehrern zwei Staaten im Mittelmeerraum als Modell für die europäische Zukunft vorgestellt worden waren; zwei Staat