: Martin Walser
: Thekla Chabbi
: 'Ich würde heute ungern sterben' Interviews von 1978 bis 2016
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644001466
: 1
: CHF 13.00
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 576
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die wichtigsten Interviews aus 40 Jahren: intellektuell brillant, weitsichtig und streitlustig. «Meine Muse heißt Mangel» - so hat Martin Walser schon früh den Ausgangspunkt seines Schreibens gefasst. Was es heißt, ein Leben als Schriftsteller und Intellektueller mit diesem Mangel zu führen, darüber geben die wichtigsten Interviews Martin Walsers Auskunft - und über so viel mehr: über Kafka, natürlich, über das Verhältnis von Literatur und Welt, die Gruppe 47, deutsch-deutsche Geschichte, große Zeitenwenden und die Größe der kleinen Momente, über das Schreiben als Belebung. Ein tiefer Einblick in das Werk und das Denken Martin Walsers.

Martin Walser, 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren, war einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis, 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2015 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Mérite» ausgezeichnet und zum «Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres» ernannt. Martin Walser starb am 26. Juli 2023 in Überlingen. 

Ansprüche an die Romanform


Ein Gespräch mit Irmela Schneider 1981

In Ihren Reden und Aufsätzen betonen Sie immer wieder die Bedeutung, die Hölderlin, Kafka und Robert Walser für Sie haben. In welcher Weise wirkt sich eine so enge Traditionsbindung auf den eigenen Schreibprozess aus?

Kafka hat mich in einem Augenblick des Prosaschreibenwollens getroffen, sodass ich jahrelang nicht anders konnte, als mein eigenes Schreibenwollen unter dem Klischee dieses Meisters ausbilden zu müssen. Ich bin jahrelang davon nicht losgekommen. Das war für mich eine Art universaler Resignation, als ich feststellen musste, nicht nur durch die Beobachtung dessen, was ich selber machte, sondern auch durch das Herumschauen in Europa und in der Welt, dass in der Kafka-Nachfolge sozusagen kein Roman mehr zu schreiben ist. Die, die das probiert haben, sind, glaube ich, ehrenvoll gescheitert. Ich habe unwillkürlich kürzere Prosastücke unter seinem Einfluss geschrieben, habe aber gemerkt, dass ich meine eigenen Erfahrungen, soweit sie romanhaft zu Buche schlagen wollten, in seinem Zeichen nicht habe ausarbeiten können.

Sehen Sie Ihr Romanschreiben in einer bestimmten literarischen Tradition?

Ich glaube, das ist die Crux beim Romanschreiben, dass es darin wenig Tradition gibt, viel weniger sicher als beim Theaterschreiben. Brecht hat eine ganze Reihe von Autoren beeinflusst, das kann man feststellen. Sie haben bei ihm was gelernt, und das merkt man, dass sie was gelernt haben. Beim Romanschreiben, das ist ziemlich schlimm für die ganze Gattung, wird wenig gelernt. Zum Beispiel glaube ich aus eigener Erfahrung, dass die meisten Autoren die Form des Romans gar nicht ernst nehmen, dass sie gar nicht glauben, dass es so etwas gibt wie eine Romanform. Für mich spielt die Romanform seit 1975/76 eine erahnbare Rolle. Vorher habe ich so eine Art Ich-Oratorien geschrieben. Jetzt habe ich das Gefühl, ich müsste meine eigene Romanform entwickeln.

Sie haben ja einmal die Lyrik als die höchste Form bezeichnet.

Lyrik ist die begehrenswerteste Ausdrucksweise oder die anspruchsvollste Ausdrucksweise, weil sie den größten Formwiderstand mit der größten Unmittelbarkeit synthetisieren können soll. Deswegen findet sie auch ziemlich selten statt.

Auf diesem Anspruchsniveau.

Ja, aber darunter ist es nicht. Das wäre im Grunde genommen auch das, was man vom Roman verlangen müsste, aber bei der Lyrik