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Am meisten ist Gern noch das, was es einmal gewesen sein muß, wenn der Schnee alles zudeckt, alles neuerdings Dazugebaute. Und das gelingt dem Schnee fast jeden Winter ein-, zweimal. Wenn dann die Straßen nicht geräumt werden, die schwarzen Menschen, Gleichgewicht suchend, durch die Luft rudern, dann kann ich arbeiten. Hätte ich arbeiten können, wenn ich nicht in dieses Geschehen hineingeraten wäre.
Ich kam heim und merkte, daß ich immer noch nicht wußte, wie es Hans Lach ging. Dieses Schweigen. Ach was, Schweigen. Da lernt man Wörter kennen! Wenn sie nicht taugen! Dieses Voreinandersitzen und Nichtssagen. Das kann man doch nicht Schweigen nennen. Er tat mir leid. Das war es. Jetzt erst gestand ich es mir ein: er tat mir leid, weil ich glaubte, daß er es getan haben könnte. Für mich war es immer die fürchterlichste Vorstellung überhaupt: jemanden umgebracht zu haben. Manchmal – sehr selten zum Glück – träumte ich das: du hast jemanden umgebracht, man ist schon auf deiner Spur, du siehst deiner Überführung entgegen, du mußt, um das zu verhindern, noch jemanden umbringen. Die Tage nach solchen Träumen sind immer die glücklichsten Tage überhaupt. Den ganzen Tag könnte ich summen vor Glück: du hast keinen umgebracht, Halleluja.
Ich war von Amsterdam so jäh weggefahren, ich mußte sofort hinaus nach Stadelheim, weil ich glaubte, er könnte es doch getan haben. Und fürchterlicher konnte nichts sein. Also hin zu ihm. Dann sitzen und nichts sagen. Einfach weil man, wenn jemand jemanden umgebracht hat, nichts mehr sagen kann. Jetzt merkte ich, daß mir der Tote kein bißchen leid tat, nur der Täter. Der Tote leidet doch nicht mehr. Aber der Täter … der kann keine Sekunde lang an etwas anderes denken als an die Sekunde der Tat. Ich müßte mich, wenn mir das passierte, sofort selber umbringen. Nicht, um mich zu strafen, nicht, um zu sühnen. Nur weil es nicht auszuhalten wäre, dieses ewige, unablässige Drandenkenmüssen. Und der saß mir gegenüber, sah mich an, ruhig. Das habe ich mir eingeredet. Ruhig. Er war erledigt, zerquetscht, er hatte sicher immer noch keinen ruhigen Schlaf gefunden. Die Augen. Jetzt erst verstand ich diesen Blick. Dieses vollkommen Tendenzlose. Keine Gesellschaft, bitte. Keine Teilnahme. Achten Sie, bitte, mein Nichtinfragekommen für alles. Ich komme in Frage nur noch für nichts. Und diesen Ausdruck hatte ich fürruhig gehalten. Halten wollen. Etwas Unwiderrufliches getan haben.
Ich konnte nicht sitzen bleiben, mich nicht vom Winterbild draußen einwiegen lassen, ich rannte im Zimmer hin und her, bis mir Lachs Handgeschriebenes einfiel. Und las. Es waren Seiten eines DIN-A5-Blocks. Mit Linien, an die sich der Schreiber, weil sie ihm zu weit auseinander standen, nicht gehalten hat. Die Handschrift war schwer lesbar.
Lieber Michel Landolf, las ich, hier ein paar Notate aus der Ettstraße. Zwei Tage und zwei Nächte. Bitte, aufbewahren für was auch immer. Herzlich Ihr Ex-Nachbar Lach.
Ich las:
Versuch über Größe. Zuerst das Geständnis, daß Denken mir nichts bringt. Ich bin auf Erfahrung angewiesen. Leider. Erfahren geht ja viel langsamer als denken. Denken kann man schnell. Denken geht leicht. Denken ist keine Kunst. Denken ist großartig. Durch Denken wird man Herr über Bedingungen, unter denen man sonst litte. All das ist Erfahren nicht. Nach meiner Erfahrung, der ich neuestens bis zur Unerträglichkeit ausgesetzt bin. In einem Satz gesagt: Immer öfter merke ich, daß Menschen, mit denen ich spreche, während wir mit einander sprechen, größer werden. Ich könnte auch sagen: Ich werde, währe